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«Mutig sein und Reformen umsetzen»

19.01.2024 – Interview: Susanne Wenger

Nach Bekanntwerden von über tausend Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche sperrte die Kirchgemeinde im luzernischen Adligenswil Zahlungen ans Bistum. In der Kirche müsse sich vieles ändern, sagt Kirchgemeindepräsidentin Monika Koller Schinca, eine Stimme der Basis.

«Schweizer Revue»: Sie sind in Adligenswil Kirchenratspräsidentin. Was ist das für ein Amt?

Monika Koller Schinca: Die römisch-katholische Kirche der Schweiz hat in einem weltweit einzigartigen System zwei Standbeine: ein pastorales mit den Bistümern und Pfarreien sowie ein staatskirchenrechtliches oder weltliches mit den kantonalen Landeskirchen und den Kirchgemeinden. Mein Amt gehört zur weltlichen Struktur. Unser demokratisch gewählter Kirchenrat ist verantwortlich für Finanzen, Bauten und Anstellungen, während die Pastoralen für die kirchlichen Inhalte zuständig sind. Wir arbeiten eng zusammen.

Monika Koller Schinca fordert «schonungslose Aufklärung, konsequentes Durchgreifen», denn die Menschen verlören das Vertrauen in die Kirche. Foto ZVG

Ihre Kirchgemeinde begann den Aufstand mit dem Zahlungsstopp ans Bistum, den später auch das kantonale Kirchenparlament androhte (siehe Hauptartikel). Was bewog Sie zum ungewöhnlichen Schritt?

Die hohe Zahl der belegten Missbrauchsfälle schockiert uns. Wir fühlen uns solidarisch mit allen Betroffenen. Es gab immer wieder Fälle, in denen Kirchenverantwortliche Taten vertuscht haben. Das finden wir beschämend. Den Ausschlag gab die ungenügende Reaktion der Bischöfe auf die Studienergebnisse. Jetzt sind Taten erforderlich statt nur Worte: schonungslose Aufklärung, konsequentes Durchgreifen. Denn die Menschen verlieren das Vertrauen in die katholische Kirche. Sie laufen uns in Scharen davon.

Deshalb setzten Sie ein Zeichen, obwohl die Missbräuche schon länger ein Thema sind?

Ja. Das Zeichen sollte von der Basis kommen und stark sein. Deshalb verknüpfen wir unsere Forderungen mit finanziellem Druck. In den Dörfern unserer Region ist die Kirche immer noch ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, viele engagieren sich und möchten einen Beitrag leisten. Nach der Publikation der Studie erhielten wir überdurchschnittlich viele Austrittsschreiben. Was mich besonders betroffen machte: Diesmal traten vermehrt auch ältere Menschen aus, die noch zur Generation der regelmässigen Kirchgänger gehö­ren. Etwas stimmt grundlegend nicht mehr. Neben der Auf­arbeitung des Missbrauchs sind Reformen und ein Kulturwandel überfällig. Wir wollten etwas in Bewegung bringen und am System rütteln.

Was muss sich ändern?

Etwas vom Wichtigsten ist, dass Frauen gleiche Rechte erhalten. Im Kanton Luzern sind 60 Prozent der Kirchenangestellten und 75 Prozent der freiwillig Engagierten weiblich. Unsere Kirche wird zu einem grossen Teil von Frauen getragen, doch je höher in der Hierarchie, desto mehr dominieren die Männer. Frauen dürfen sich immer noch nicht weihen lassen, weder zur Priesterin noch zur Diakonin. Weiter gehört das Pflichtzölibat im Priesterberuf abgeschafft. Wer die enthaltsame, ehelose Lebensform für sich richtig findet, soll sie weiterhin wählen können. Aber sie darf kein Zwang mehr sein. Sexualität ist ein gottgegebenes Geschenk. Das Pflichtzölibat schafft zudem einen Risikofaktor für Missbräuche. Studien deuten darauf hin, dass es teilweise Leute mit problematischen Seiten anzieht, zum Beispiel Personen mit pädophilen Neigungen.

Sie fordern, dass Schweizer Bischöfe sich für Reformen einsetzen. Diese argumentieren, das gehe nicht ohne Rom.

Auf mich wirkt das wie eine Ausrede. Roms Langsamkeit geht komplett an den Lebensrealitäten in der Schweiz vorbei. Schweizer Bischöfe bekunden zwar ihre Reformbereitschaft, handeln aber nicht. Wir müssen mutig sein und einen Weg finden, um Reformen in der Schweiz wenigstens ansatzweise umzusetzen, auch mit dem Risiko, dass der Vatikan negativ reagiert. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Für die katholische Kirche ist es in meinen Augen fünf nach zwölf.

Welches Verhältnis haben Sie persönlich heute zur katholischen Kirche?

Ich bin mit ihr aufgewachsen, sie liegt mir am Herzen. Und ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass sie sich wandeln kann. Deshalb investiere ich Energie und Zeit, um etwas zu bewegen. Dass die Initiative unserer kleinen Kirchgemeinde Adligenswil so breite Kreise gezogen hat, ist ermutigend. Die Menschen sehen, dass etwas geht. Ob es gelingt, die Glaubwürdigkeit der Kirche wieder herzustellen, wird sich zeigen.

Zur Person: Monika Koller Schinca ist seit 2021 Präsidentin der Kirchgemeinde Adligenswil in der Nähe der Stadt Luzern. Die 50-Jährige führt ein Coaching-Büro. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

«Schwerpunkt»: Die Kirche schützte die Täter, nicht die Opfer

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