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  • Reportage

Wie die Bündner die Bio-Schweizer-Meister wurden

09.04.2021 – STÉPHANE HERZOG

Mehr als 65 Prozent der Bündner Bauern setzen auf Bio. Das ist Schweizer Rekord. Bergbauern und Touristiker haben die Entwicklung beschleunigt. Wer biologisch bauert, tut dies meist aus wirtschaftlichen und ideologischen Gründen.

An diesem Wintermorgen liegt der Hof der Familie Heinrich im Schatten. Marcel und seine Frau Sabina zählen die Tage bis zur Rückkehr der Sonne. Mehr als eine Woche müssen sie noch aushalten. Willkommen in Las Sorts, einem Weiler im Albulatal, knapp 1000 Meter über Meer und unweit des berühmten Landwasserviadukts gelegen.

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Der Hof Las Sorts – wörtlich übersetzt: das Schicksal – steht sinnbildlich für viele Bündner Bauernbetriebe: Der Wandel hin zu Bio begann mit dem Milchverkauf dank Weiden, die frei von synthetischem Dünger sind. «Mein Vater war einer der ersten Bauern im Tal, die den Schritt wagten», erzählt Marcel Heinrich, ursprünglich gelernter Holzarbeiter. Das Vorhaben war damals nicht selbstverständlich. Anfangs wurde die Milch der Biopioniere nicht von der restlichen getrennt. Ab den 1990er-Jahren jedoch fragte der Grossverteiler Coop bei den Käsereien vermehrt nach Bioprodukten nach.

Da sich diese Milch zu einem besseren Preis verkaufen liess und die Höfe sowieso schon nahe am Biostandard produzierten, folgten zahlreiche Bäuerinnen und Bauern.

Claudio Gregori

Präsident von Bio Grischun

«Der offene Geist der Bündner Bäuerinnen und Bauern tat das Seine zu diesem Aufschwung», fügt Martin Roth, Berater für Biolandbau im Plantahof, dem Ausbildungszentrum des Kantons für Landwirtschaft, hinzu.

In Las Sorts ist das Haupterzeugnis die Bergkartoffel. Jedes Jahr produziert die Familie Heinrich fast 70 Tonnen und mehr als 40 Sorten: von der violettschwarzen Vitelotte mit ihrem Edelkastanienaroma bis zur delikaten belgischen Corne de Gatte. Der Anbau verlangt viel manuelle Arbeit auf kleinen Parzellen. «Es ist eine herausfordernde Entscheidung, die einen dazu bewegt, sich mit den Kreisläufen der Natur auseinanderzusetzen. In der Biolandwirtschaft beobachtet man Dinge, die man vom hohen Sitz des Traktors aus unmöglich sehen kann», sagt Marcel Heinrich. In diesem Moment taucht vor dem Haus ein Fuchs auf, was kurz zu Aufregung aus Sorge um die Hühner im Stall führt. Im Tal gibt es sogar Wölfe: «Wir hören sie manchmal unweit des Hofes heulen und finden Hirschkadaver, bisher stellen sie für uns jedoch kein Problem dar.»

Die Bergkartoffel als Nischengeschäft

In den hoch gelegenen Regionen müssen die Biobäuerinnen und -bauern Nischenprodukte entwickeln. Die Familie Heinrich etwa hat sich am Aufbau einer Kartoffel-Akademie beteiligt, die Liebhaberinnen und Liebhaber seltener Sorten zusammenführt. «Biokartoffeln haben einen sehr starken Geschmack. Köche sagten mir, sie seien viermal nahrhafter als die Erzeugnisse aus konventioneller Landwirtschaft», sagt Marcel Heinrich, der Sterneköche wie Sven Wassmer in Bad Ragaz oder Heiko Nieder in Zürich zu seinen Kunden zählt. Der Bauer liebt es, sein Wissen zu teilen, ist jedoch kein «Bioprediger». Sein jüngstes Projekt ist die Kultivierung einer alten Bohnensorte. Nach fünf Jahren der Versuche konnte er 2020 schliesslich 1500 Kilogramm einer kälteresistenten Bohne ernten.

In Las Sorts stammen ungefähr 65 Prozent der Einkünfte aus dem Direktverkauf, rund 35 Prozent aus flächenabhängigen Subventionen des Bundes. «Der Anteil unserer Einkünfte aus dem Direktverkauf ist für einen Bergbetrieb hoch», sagt Marcel Heinrich. Er hat dem Verkauf an Grossverteiler abgeschworen. Denn er hält diese für «ein instabiles System, das den Bauern die Hände bindet». Wir verlassen die freundliche Wärme des Heinrich’schen Haushalts, den Ofen und die im Badezimmer gestapelten Reisigbündel in Richtung Filisur.

Die Entscheidung, auf dem Hof zu schlachten

Weiter nördlich leben Georg Blunier und seine Frau Claudia. Der von ihnen gepachtete Hof thront majestätisch über dem Rhein. Die Kälte beisst, die Sonne brennt in den Augen. Willkommen in Dusch auf 850 Metern über Meer. Das gemeinsame Leben des Paars begann in der Stadt. Nach zwei Alpsommern im Wallis und Graubünden entschied es sich jedoch, sein Glück in der Landwirtschaft zu suchen. Georg Blunier hatte als Grafiker und Künstler in Biel gearbeitet. 70-Stunden-Wochen gehören zum Alltag des bodenständigen Mannes. «In der Kunst erschaffst du Probleme, um dann Lösungen für sie zu finden. In der Landwirtschaft folgst du dem Rhythmus, der dir die Natur auferlegt, und siehst die konkreten Resultate deiner Arbeit.»

Auf dem Hof Dusch, seit 1989 ein Biobetrieb, werden Getreide und Früchte angebaut. Das Nischenprodukt des Hofs ist jedoch das Fleisch des Rhätischen Grauviehs, das für etwa 30 Prozent des Umsatzes sorgt. Seit 2018 verfügt Georg Blunier über die Bewilligung, seine Kälber auf dem Hof zu schlachten – eine Premiere in der Schweiz. Die Tiere werden vor Ort von einem Metzger getötet und ausgeblutet. So bleibt der Stress des Transports zum Schlachthof aus. Die hiesigen Kälber bleiben zwölf Monate lang bei den Mutterkühen und werden im Alter von zwei Jahren geschlachtet. Die Fleischpakete werden direkt zu den Kunden nach Hause geliefert.

Ein Hof für männliche Küken

Etwas weiter unten am Rhein liegt Malans mit seinen Weinbergen. Hier hat sich der Schnee bereits aus den Obstgärten zurückgezogen. Valérie Cavin, eine in Zürich aufgewachsene Waadtländerin, und ihr Bündner Partner Roman Clavadetscher bewirtschaften hier eine halbe Hektare Reben. Ihr Pinot noir aus Bioanbau ist gefragt. Das eigentliche Nischenprodukt sind jedoch die männlichen Küken. Diese werden hier nicht gleich wie üblich nach dem Schlüpfen getötet, sondern zusammen mit den Weibchen in vier kleinen, mobilen Ställen für insgesamt 500 Tiere aufgezogen. «Restaurants kaufen uns die Hähnchen ab, weil sie ihren Kundinnen und Kunden eine Geschichte zu ihren Speisen bieten wollen. Andere Konsumentinnen und Konsumenten kaufen sie aus ethischen Gründen und bezahlen einen höheren Preis für unsere Eier, um die Aufzucht finanziell zu unterstützen», sagt Valérie Cavin.

Eine weitere Nische ist der Anbau von Bioknoblauch, der viel Handarbeit erfordert. 2020 produzierte der Hof drei Tonnen davon. Nur 10 Prozent der Einkünfte kämen aus öffentlichen Subventionen, sagt die Landwirtin, die genau wie ihr Mann über ein Diplom in Agronomie verfügt. Beide sind weiterhin ausserhalb ihres Betriebs erwerbstätig, sie als Lehrerin für Landwirtschaft, er als Berater für Biobetriebe. «Diese Entscheidung gibt uns mehr Freiheit und Sicherheit, etwa wenn unsere Kartoffeln dem Frost erliegen», meint Valérie Cavin.

Die Visite bei Bündner Biobauern führt auf den Hof Las Sorts (1) und dessen Kartoffeläcker im Albulatal, weiter auf den Biohof Dusch (2) bei Paspels, wo Getreide angebaut und Rhätisches Grauvieh aufgezogen wird, bis hin zur letzten und nördlichsten Station der «Revue»-Exkursion: Malans (3) mit seinen sonnigen Rebbergen.

Getragen von der Unterstützung durch den Bund breitet sich die Biobewegung von Tal zu Tal aus. «Die Wahl, zu diesem Ansatz überzugehen, bleibt jedoch eine Herzensentscheidung», sagt Claudio Gregori. Aber eine Beobachtung teilten die Bündner Biobäuerinnen und -bauern: Biologisch kultivierte Böden seien widerstandsfähiger und die wahren Kosten der Biolandwirtschaft tiefer als vermutet, ziehe man auch Folgekosten der von der Intensivlandwirtschaft verursachten Kosten mit ein. Für Georg Blunier wiederum ist eines klar: «Letztlich entscheidet das Verhalten der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten darüber, wie schnell dieser Wandel vonstattengeht.»

Bündner Biolandwirtschaft in Zahlen

Ende 2019 zählte der Kanton Graubünden 1291 Biobetriebe – davon 1255 mit dem BioknospeLabel – von total 2067 Bauernhöfen. Damit beträgt der Bioanteil 62,5 Prozent. Das ist sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen Schweizer Rekord. Schweizweit beträgt der Bioanteil am Nahrungsmittelmarkt ungefähr 10 Prozent.

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Kommentare :

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    Marlise Kämpfer Niećko, Dobkowice, Polen 30.01.2023 um 14:11
    Danke für die interessanten Beiträge. Sie waren vielfältig, aus vielen Regionen und Bereichen, ich habe alle sehr gerne gelesen.
    Herzliche Grüsse Marlise Kämpfer
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  • user
    Ariste Maurer, Brasilien 06.08.2021 um 08:46
    Die Produktion und Verbrauch von Bio-Nahrungsmitteln ist löblich und deren Verzehr ist sicher gesünder, als der von industriell hergestellten Produkten. Bio-Produkte werden jedoch in der Regel zu einem wesentlich höheren Preis verkauft, als “Normal”-Produkte, die man im Supermarket einkauft. In der gleichen Ausgabe (Seite 11) publizieren Sie einen Artikel über den Wohlstand in der Schweiz: 25% der Haushalte verfügen über gar kein Vermögen und 50% über Ersparnisse von maximal 50.000 Franken, was angesichts der hohen Schweizersaläre relativ wenig ist.
    Fazit: ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung muss offensichtlich auch heute noch gut rechnen, um ihr Monatsbudget einigermassen unter Kontrolle halten zu können. Das heisst eben, unter anderem, auch die Lebensmittel möglich günstig einzukaufen – also im Supermarket und nicht beim teuren Bio-Bauern. Nur ein Bruchteil der CH-Bevölkerung kann sich den Luxus erlauben, täglich teure Bio-Basis-Nahrungsmittel zu kaufen. Kommt noch dazu, das bei vielen Konsumenten der Verdacht besteht, dass Bio-Produkte, die im Supermarket angeboten werden, gar nicht sooo “Bio” sind und nur wegen der Bio-Etiquette zu einem höheren Preis verkauft werden.
    Das ist die Situation in der reichen Schweiz. In weniger reichen Ländern in Europa und gar in den armen Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Lateinamerika, die den grössten Anteil der Weltbevölkerung stellen, ist der Anteil der nicht-kaufskräftigen Bevölkerung immens höher, als in der Schweiz, und diese Menschen sind nur in der Lage – wenn überhaupt - die allerbilligsten Lebensmittel einzukaufen, um ihre Familien schlecht und recht ernähren zu können
    Fazit: Bio-Produkte sind leider vor allem ein Luxus, den sich nur “reiche” Konsumenten leisten können und die Verkaufsmengen der Bio-Produkte werden deshalb beschränkt bleiben und werden aus diesem Grund auch weder das Weltklima noch generell die Essensgewohnheiten der Menschen beeinflussen können.
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    Francois Comunetti, Montana, USA 20.04.2021 um 19:24

    Very, very encouraging ! I was so surprised to read that almost 2/3 of farmers in Graubuenden farm organically. As a Swiss I am also proud of that. Natural and regenerative farming is the only way forward. It has always been like that and will be so in the future. Short term profit for a few only is not sustainable anymore.


    We participate by producing and selling grass fed organic beef here in Montana.

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  • user
    Albert Rouvray, Manchester, UK 18.04.2021 um 17:22

    Large scale farming does a poor job on both vegetables and livestock. Instead of letting a crop field rest, chemical fertilizers are simply added to keep it going which exhausts the land. The best thing for the earth would be smaller, largely organic and mixed use farms. On a smaller farm crops are rotated and on a rest year from cash crops that area will be grazing pasture for livestock, who naturally fertilize the land. There is an up and coming generation of farmers with a focus on regenerative practices, who are concerned with sequestering carbon and bringing their farms to a point where they are a net negative in carbon emissions. To do so requires crops and livestock. Is it any surprise that what small farmers were already doing before big industry arrived was maybe the best way for our planet?

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  • user
    Ulrich Schmid, New Zealand 17.04.2021 um 05:27

    I am so glad to see the farming community going full circle in my life time. What commendable farmers. The rewards for them will be so much greater than just the Francs they earn. Thanks to all the organic farmers!

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  • user
    Nichae Canonica, Blume 17.04.2021 um 01:47

    May these wonderful farmers inspire others to follow their example. Beside giving us nutritious food, they are good stewards of precious land now and for posterity. I salute them.

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  • user
    Santiago Ribón Chiesa, Colombie 16.04.2021 um 15:41

    Une fois de plus la Suisse donne l’ exemple. J’ habite la Colombie un des pays andins où se commercialisaient il y a une vingtaine d’années une soixantaine de variétés de pommes de terre. Aujourd’hui, à cause de la politique des hypermarchés, où le capital français est présent, une bourgeoise ne trouve sur les rayons que trois variétés! Heureusement il existe une réaction de la part de la paysannerie et de jeunes ecosensibles qui permet la récupération de variétés laissées en dehors du circuit. Et celles ci se cultivent bio. Ainsi on suit l’exemple suisse de la conservation de la biodiversité associée au bio.

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    René Gottschall, France 15.04.2021 um 12:52

    Bonjour, j'ai lu avec beaucoup d'intérêt les articles de Stéphane Herzog relatant les activités de ces courageux agriculteurs de montagne. La tendance de l'alimentation en produits Bio est en nette hausse et c'est très bien. Puissent nos paysans, de montagne ou de plaine, subvenir à leurs besoins par leur seule activité, ce qui sera le cas si la population joue le jeu en payant les produits un peu plus cher à la caisse.

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    Marie-Anne Moeschlin, Mulhouse, France 15.04.2021 um 11:05

    Article très intéressant. Chapeau bas devant cette persévérance! Quelle est en "français fédéral" la définition du verbe "allaiter"? dans mon français, c'est la vache qui allaite son veau et non l'inverse. Bien cordialement.

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    Trudi Fill-Weidmann, Wellington, Neuseeland 14.04.2021 um 11:00

    Dieser Artikel gibt mir Hoffnung und ich bin dankbar für die harte Arbeit von den vorgestellten und allen anderen Biobauern. Meiner Ansicht nach, zusammen mit dem SR-Artikel über die Fungizid-Rückstände im Grundwasser, ist biologischer Anbau "a no-brainer", und ich verstehe nicht, warum man der konventionellen Landwirtschaft soviel Raum zur Erdvergiftung lässt. Das kann nur wirtschaftlichem Druck zugeschrieben werden.

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  • user
    Reinhold Wallner, Nha Trang City, Vietnam 14.04.2021 um 08:33

    Hut ab von diesen tüchtigen Unternehmer! Es ist für meine Seele eine wohltuende Genugtuung festzustellen, wie hier zusammen mit Natur gelebt und gearbeitet wird! Dafür herzlichen Dank und weiterhin viel Freude und viele Kunden!

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