Und wie steht es um die Polizeiausbildung? Die sechs regionalen Polizeischulen der Schweiz arbeiten nach einem vom Schweizerischen PolizeiInstitut (SPI) entwickelten Modell. Seit 2020 dauert der Lehrgang zwei Jahre: Ein Jahr verbringen die Anwärterinnen und Anwärter an der Schule, das andere widmet sich der praktischen Arbeit.Zur Theorieausbildung gehören auch Module, die sich mit Ethik und Minderheiten befassen. «Die ethnische Zugehörigkeit darf niemals das einzige Kriterium für eine Polizeikontrolle sein», steht in einem Lehrmittel. Die Prüfungen für Polizeibeamtinnen und -beamte sind einheitlich, aber die Entscheidung für jede Einstellung liegt bei den Kantonen.
In Neuenburg müssen Bewerberinnen und Bewerber beispielsweise zunächst eine Grundprüfung in verschiedenen Fächern absolvieren: Französisch, Sport und Allgemeinbildung. Auch ein psychologischer Eignungstest gehört dazu. Jedes Jahr werden etwa 25 von insgesamt 300 Bewerbenden ausgewählt. Die Anwärterinnen und Anwärter werden in Situationen versetzt, die den richtigen Umgang mit Autorität erfordern.
Wir haben immer gesagt, dass Savatan für die Ausbildung von Polizisten nicht geeignet ist.
Mike Berker, Vizepräsident der Gewerkschaft der Genfer Kriminalpolizei
Ein Kandidat spielt beispielsweise die Rolle des Kondukteurs im Zug, der einen Fahrgast darauf anspricht, dass dieser seine Füsse auf dem Sitz hat. «Wird der Kandidat gewalttätig, nachdem er den Fahrgast zweimal aufgefordert hat, seine Füsse auf den Boden zu stellen, ist klar, dass es mit seiner Bewerbung nicht klappen wird», sagt Raphaël Jallard, Direktor des interregionalen Polizei-Ausbildungszentrums der Kantone Freiburg, Neuenburg und Jura (IPAZ). «Man muss eine Verbindung mit seinem Gegenüber herstellen und nicht gegen die betreffende Person arbeiten», erklärt der ehemalige Kommissar. Aus seiner Sicht darf die Polizistin oder der Polizist nicht selbst «zum Problem werden». Wie wir von ihm erfahren, gehören sowohl in Freiburg als auch in Neuenburg ausführliche Gespräche mit einer psychologischen Fachperson zum Einstellungsverfahren. Das Endziel des IPAZ: «Eine Bürgerpolizei ausbilden.»
Eine zu militärisch geprägte Ausbildung
Die Polizistinnen und Polizisten des Kantons Waadt werden an der Polizeiakademie in Savatan (VD) ausgebildet, wo die Anwärterinnen und Anwärter gemeinsam mit denjenigen aus Genf geschult werden. Der Kanton Wallis hat sich diesen Sommer aus dieser Einrichtung zurückgezogen. Das 2004 in einer ehemaligen Kaserne eröffnete Zentrum mit dem Spitznamen «Le Rocher» (der Felsen) wurde bereits wiederholt kritisiert. Gleiches gilt auch für seinen Direktor, Oberst Alain Bergonzoli, der 2008 sein Amt angetreten hat.
«Wir haben schon immer gesagt, dass dieser Ort für die Ausbildung von Polizeianwärterinnen und -anwärtern nicht geeignet ist. Die Ausbildung ist militärisch geprägt, autoritär und auf Formalitäten wie Paraden fixiert», kritisiert Inspektor Mike Berker, Vizepräsident der Gewerkschaft der Kriminalpolizei in Genf. Der Ausbildungsstil und die Abgelegenheit der Kaserne verhindern seiner Meinung nach die Rekrutierung interessanter Profile für die Kantonspolizei. «Die Anwärterinnen und Anwärter sind jung und werden in einem Umfeld ausgebildet, in dem jeder menschliche Kontakt eine potenzielle Gefahr darstellt. Wenn sie dann in Genf ankommen, muss die gesamte Ausbildungsphilosophie revidiert werden», sagt Mike Berker.
Nach Ansicht von Frédéric Maillard mag ein Jahr «auf dem Felsen» für gewisse Personen vielleicht geeignet sein. Er erinnert jedoch daran, dass die Genfer Polizei gegen diesen Umzug war, da die Kriminalpolizei bereits zuvor über eine spezielle Ausbildung für angehende Inspektorinnen und Inspektoren verfügte. «Früher nahm die Genfer Polizei auch Akademikerinnen und Akademiker und Personen aus dem Dienstleistungssektor auf, ohne dass die körperliche Leistung eines der Hauptkriterien war», sagt der Experte. Die Aussicht auf das frühmorgendliche Flaggenhissen auf dem einsamen Felsen schreckt diese Art von Kandidierenden jedoch ab.
Der Polizist darf nicht das Problem sein
Raphaël Jallard, Direktor CIFPOL
Im Jahr 2016 befragte die Genfer Soziologin Dominique Felder Polizeikommandanten aus den Kantonen Waadt und Wallis. Sie kam zu folgendem Ergebnis: «Der militärische Stil führt dazu, dass Intensität über Inhalt, Gehorsam über Urteilsvermögen und Konformität über Autonomie gestellt werden.» Das Dokument führte zu einer Reihe von Reformen.
Savatan schliesst seine Türen
Polizistinnen und Polizisten, die in Savatan ausgebildet wurden, berichteten von sexistischen und rassistischen Äusserungen und Verhaltensweisen seitens der Ausbildner. Hat die in Savatan herrschende Atmosphäre möglicherweise einen negativen Einfluss auf einige der in die Fälle der Waadtländer Polizei verwickelten Beamtinnen und Beamten gehabt? «Ich selber konnte bei einigen Anwärterinnen und Anwärtern beobachten, wie sehr sie durch Übungen konditioniert worden waren –, durch Übungen, in denen selbst dann Misstrauen gegenüber anderen Personen gelernt wurde, wenn diese um Hilfe bitten. Selbst sie gelten als potenzielle Bedrohung», sagt Frédéric Maillard.
Nach Angaben einer externen Fachkraft, die Savatan besucht hatte, liess das Ausbildungszentrum bestimmte Äusserungen oder Verhaltensweisen zu, die – wenn sie innerhalb der Polizei nicht durch klare Richtlinien geregelt werden – zu Entgleisungen führen können. Die Kantonspolizei hingegen scheinen die auf dem Felsen angewandten Methoden nicht zu beunruhigen. «Der Kausalzusammenhang zwischen der Ausbildung in Savatan und der Affäre um die WhatsApp-Gruppen der Lausanner Stadtpolizei ist keineswegs erwiesen», erklärte Staatsrat Vassilis Venizelos vor dem Grossen Rat des Kantons Waadt.
Fest steht inzwischen: Bis 2029 werden die Kantone Waadt und Genf die Ausbildung ihrer Polizistinnen und Polizisten wieder selbst übernehmen. Es ist allerdings nicht der schlechte Ruf von Savatan, der zu dieser Massnahme geführt hat. Vielmehr handelt es sich um zentrifugale Kräfte und finanzielle Überlegungen, zumal der Mietvertrag von Savatan – die Anlage wird von der Armee gemietet – ohnehin ausläuft. Die grösste Herausforderung liegt darin, dass die Polizistinnen und Polizisten der Romandie alle nach dem gleichen Muster ausgebildet werden, obwohl sich die Methoden und die Kultur in jedem Kanton unterscheiden.
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