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  • Gesellschaft

Das Bistum Chur streicht den Exorzisten

24.03.2023 – SUSANNE WENGER

In den vergangenen Jahren war am Bistum Chur ein Exorzist tätig, um Gläubige von angeblichen Dämonen zu befreien. Nach seinem Tod wird die kontrovers beurteilte Funktion nicht wieder besetzt. Für seelisch belastete Menschen gebe es Therapien, sagt der neue Bischof.

Domherr Christoph Casetti († 2020), lange der «bekannteste Teufelsaustreiber der Schweiz», war der letzte Exorzist des Bistums Chur. Foto ©Pressedienst

Exorzismen sollen Menschen vom Bösen und einer angeblichen dämonischen Besessenheit befreien. Aller Aufklärung zum Trotz gibt es sie bis heute, auch in der immer stärker säkularisierten Schweiz. Im Bistum Chur übte Bischofsvikar Christoph Casetti die Funktion eines Exorzisten aus. Er verstarb 2020. Danach verzichtete das Bistum darauf, die Exorzistenstelle neu zu besetzen, wie Ende letzten Jahres bekannt wurde. Bischof Joseph Maria Bonnemain begründete den Entscheid persönlich in einem Beitrag des Schweizer Radios. Er sagte: «Wir sind alle Menschen, die Stärken und Schwächen in sich tragen.» Für belastende Situationen gebe es «normale Lösungen, also medizinisch, psychologisch, psychotherapeutisch». Man brauche nicht nach «geheimen Ursachen» zu suchen.

Das Bistum Chur mit Sitz im Hauptort des Kantons Graubünden gehört zur römisch-katholischen Kirche, einer der drei Landeskirchen in der Schweiz. Der 74-jährige Bonnemain steht dem Bistum seit zwei Jahren vor, ernannt von Papst Franziskus. Bischof Bonnemain verfügt über ärztliches Fachwissen. Bevor er sich der Theologie zuwandte, schloss er ein Medizinstudium ab. Als Priester war er Spitalseelsorger im Kanton Zürich. In seiner ganzen geistlichen Laufbahn habe er nie eine Person getroffen, bei der er einen grossen Exorzismus für nötig gehalten hätte, sagte Bonnemain am Radio. Gläubige in seelischer Not bräuchten «Unterstützung, Gebet, geeignete Gottesdienste, aber nicht unbedingt einen Exorzismus».

Mit seinem Entscheid, die Stelle des Exorzisten nicht mehr zu besetzen, grenzt sich der Churer Bischof Joseph M. Bonnemain auch von seinen ausgesprochen konservativen Vorgängern ab. Foto Keystone

Mit Weihwasser und Kruzifix

Mit dem Streichen des Exorzisten beendete der neue Bischof von Chur ein Angebot, für das die Diözese zuvor weit herum bekannt gewesen war. Beobachter bringen den Schritt in Zusammenhang mit einem Richtungsstreit zwischen Konservativen und Reformkräften, der das Bistum seit mehr als dreissig Jahren prägt. Zwei von Bonnemains Vorgängern, die Bischöfe Wolfgang Haas (1988 bis 1997) und Vitus Huonder (2007 bis 2019), waren ausgesprochen konservativ und polarisierten stark. Der aktuelle Bischof gilt als vergleichsweise offen und dialogbereit. Er soll von Rom den Auftrag erhalten haben, die Gräben in dem fast 700 000 Katholikinnen und Katholiken zählenden Bistum zuzuschütten. Dieses umfasst neben ländlichen Kantonen auch die Metropole Zürich.

Exorzismus hat in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Sie kennt den kleinen und den grossen Exorzismus. Ersterer besteht aus einem Gebet, Letzterer folgt einem Ritual, das ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Der Exorzist fordert dabei den Dämon auf, aus dem Körper der als besessen betrachteten Person zu weichen. Neben Gebeten kommen Hilfsmittel wie Weihwasser und Kruzifixe zum Einsatz. In der Schweiz werden, wenn überhaupt, mehr kleine als grosse Exorzismen durchgeführt. Ermächtigt dazu sind vom Bischof ernannte Priester. Christoph Casetti war im Bistum Chur der oberste Exorzist. Noch in seiner Todesanzeige ist erwähnt, dass er die Aufgabe seit 2014 offiziell innehatte, nebst anderen Ämtern.

Ausschnitt aus der Sendung im Schweizer Fernsehen. Foto SRF

Kritische Stimmen

Ein Radiosender aus Deutschland nannte Casetti einmal den «bekanntesten Teufelsaustreiber der Schweiz». Er selber verteidigte mehrmals öffentlich die katholischen Rituale gegen kritische Stimmen innerhalb und ausserhalb der Kirche. Diese warfen dem Bistum Chur vor, mit dem Exorzismus ein traditionalistisch-autoritäres Weltbild zu pflegen. Der Teufel sei immer ein Druckmittel einer schwarzen Kirchenpädagogik gewesen, sagte ein Luzerner Theologe 2017 im Schweizer Fernsehen. Psychiatrische Fachleute sahen das Risiko, dass Gläubige mit psychischen Erkrankungen bewährte Therapien nicht in Anspruch nehmen.

Der Mann in Chur widersprach: Ein Priester dürfe erst einen Exorzismus in Erwägung ziehen, wenn eine Erkrankung ausgeschlossen worden sei. Auch das Etikett finsteres Mittelalter wies Casetti zurück. Exorzismen seien gegen «widergöttliche Mächte» in allen Zeiten nötig, schon Jesus habe «geheilt und befreit». Monatlich erhielt der Churer Exorzist nach eigenen Angaben Dutzende Anfragen von Menschen, die sich von einem bösen Geist besessen fühlten. Darunter nicht nur Gläubige aus dem Bistumsgebiet, sondern auch viele aus Deutschland.

«Wenn Menschen sich von bösen Geistern belastet fühlen und sich deswegen an die Kirche wenden, ist ihnen nach unserer Erfahrung mit seelsorgerlicher Begleitung weit besser geholfen als mit exorzistischen Ritualen.»

Georg Schmid

Religionsexperten

Experte begrüsst Verzicht

Laut dem Religionsexperten Georg Schmid war das Bistum Chur ein Anziehungspunkt für Menschen aus dem deutschen Sprachraum, die einen Exorzismus suchten. Er bezeichnete das Bistum einmal als «Hotspot exorzistischer Tätigkeit». Schmid leitet die evangelische Informationsstelle Relinfo nahe Zürich, die Menschen aller Glaubensrichtungen berät. Aus Sicht von Relinfo sei der Verzicht des Bistums Chur auf einen offiziellen Exorzisten zu begrüssen, sagt er: «Wenn Menschen sich von bösen Geistern belastet fühlen und sich deswegen an die Kirche wenden, ist ihnen nach unserer Erfahrung mit seelsorgerlicher Begleitung weit besser geholfen als mit exorzistischen Ritualen.»

Relinfo erhielt in den vergangenen Jahren vermehrt Anfragen zum Thema Exorzismus oder Befreiungsdienste, wie das Austreiben böser Geister auch genannt wird. Die Zunahme sei teilweise auf Migration aus Ländern zurückzuführen, in denen der Geisterglaube traditionell dazugehört. Aber auch pfingstlich-charismatische Freikirchen in der Schweiz führen Befreiungsdienste durch. Zu einem solchen Dienst berufen sieht sich überdies ein Heilsarmee-Offizier im Kanton Zürich, er erhält viel Zulauf. Als «Ruqya» spielt die Austreibung böser Geister in manchen Richtungen des Islam eine Rolle, sie wird laut Schmid auch in der Schweiz ausgeübt. Der Experte erwähnt zudem boomende esoterische oder neoschamanische Weltbilder, in denen es böse Geister aus Wohnraum zu vertreiben gelte.

Kein Monopol

Nicht selten nehmen Menschen nacheinander die Dienste unterschiedlicher Anbieter in Anspruch, weiss Schmid: «Für die Wirksamkeit der exorzistischen Praxis sprechen solche ‹Karrieren› nicht.» Fest steht: Auf Geisteraustreibungen hat die katholische Kirche in der Schweiz kein Monopol, und im Bistum Chur sind sie in alter Form nicht mehr zu haben. Weiterhin über Befreiungsdienste verfügen das Bistum Lausanne, Genf, Freiburg und das Bistum Basel. In der Romandie versehen zwei vom Bischof ernannte Exorzisten den Dienst, in Basel ist der emeritierte Weihbischof Martin Gächter beauftragt. Beidenorts betont man, eng mit Psychiatern zusammenzuarbeiten. Geplagten Menschen, die an ihn gelangten, höre er in erster Linie zu und spreche dann ein Befreiungsgebet, sagt Gächter dem Nachrichtenportal «kath.ch». Einen grossen Exorzismus habe er in dreissig Jahren erst einmal durchgeführt. Für die Befreiung der Frau von den Dämonen habe es fünfzehn Sitzungen gebraucht.

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Kommentare :

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    Pierre Calame, France 21.08.2023 um 17:30

    J'ai beaucoup aimé ce numéro très équilibré avec une grande diversité de rubriques présentées de manière très claire. Bravo!

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  • user
    Aurélia Lugon, Brest, France 12.06.2023 um 11:48

    J'ai été désolée à la lecture de l'article sur la suppression du poste d'exorciste dans le diocèse de Coire.


    Il n'y a, en effet, pas de quoi se réjouir que ce service incomparable n'ait volontairement pas été pourvu. Ceux à qui reviennent la responsabilité de permettre ce puissant moyen de lutte contre le mal seraient-ils tombés dans le panneau décrit par Charles Baudelaire (qu'on ne peut pas soupçonner de traditionalisme!): "Le plus grand piège du diable est de faire croire qu'il n'existe pas."?


    Votre article lui-même rappelle qu'un prêtre n'a le droit d'envisager un exorciste que s'il est mandaté spécialement pour cela, et lorsque toute autre maladie est exclue. L'exorcisme a donc toute sa raison d'être, et est irremplaçable. Vous en mentionnez vous-même la preuve lorsque vous relevez "le boom des offres ésotériques ou néochamaniques" qui prétendent remplacer les exorcismes... mais qui ne parviennent qu'à déplacer ou empirer le mal... et à remplir les poches de ceux qui le pratiquent.

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    Jacqueline Bollmann, England 01.04.2023 um 20:33

    Spannende Lektüre. Ganz besonders spannend zu sehen, wie die Redaktion den Begriff "Befreiungsdienste" anstatt Exorzismus benutzt. Fast bekomme ich den Eindruck, sie tue dies, um die Brisanz der Thematik abzuschwächen. Natürlich haben auch christliche Freikirchen und gewisse Islamische Glaubensrichtungen Exorzisten in ihren Reihen. Meiner Meinung nach ist es aber eine ganz andere Geschichte, wenn solche Umtriebe in einer aus Steuergeldern mitfinanzierten Kirche stattfinden. Auch scheint es für mich als Laiin ein Unterschied zu sein, ob ein Schamane (oder Ähnliches) eine "Geistaustreibung" an einem Ort durchführt oder an einem seelisch instabilen Menschen. Somit sind diese Vergleiche im Artikel für mich nicht ganz nachvollziehbar. Ich bedauere ausserordentlich, dass die "Schweiezr Revue" diese so unkritisch übernimmt.

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    Vincent PODER, France 01.04.2023 um 14:37

    Chasseur de démons, façon Diablo III

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    Peter Schwerzmann, Bangkok, Thailand 28.03.2023 um 16:04

    Papst Paul VI sagte deutlich, der Rauch Satans ist bis in die Spitze der Kirche gedrungen. Nur ein gläebiger gültig geweihter Priester kann durch die Macht des Heiligen Geist den Teufel austreiben. Jetzt wurde es abgeschafft, weil keiner mehr daran glaubt. Der Teufels freuts.

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    Denys Perrin, France 27.03.2023 um 13:47

    "Les exorcismes servent à délivrer les gens du Mal et d’une supposée possession démoniaque. En dépit des Lumières, ils existent encore, y compris dans une Suisse toujours plus sécularisée" etc. - Le ton est donné. Le diable n'existe plus, la lumière du Seigneur a été remplacée par les Lumières, dogme incontournable de la religion du Progrès. - "Spécialiste en sciences religieuses"... incroyable le nombre d'experts qu'on trouve dans les médias d'aujourd'hu ! - L'évêque de Coire choisit à mon avis un peu trop à la légère ce qui lui plaît dans les vérités de l'Église.  - Pauvre Jésus, Il s'est trompé d'époque, s'il était venu à notre époque, Il n'aurait pas eu à se préoccuper de tous ceux qui s'accrochaient à lui, se croyant à tort possédés par des démons.

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  • user
    Elena Lacroix Jaeggy, Charmey, France/Suisse 26.03.2023 um 20:41

    Très intéressant voire passionnant de constater ces discours parallèles sur les forces du mal pesant sur certains individus. Ce que le commun de mortels appelait jadis les "démons" peuvent être traduits en vibrations, parfaitement identifiables par des instruments (géobiologie) qui vont ajouter aux corps en plus ou en moins d'ondes énergétiques, de la mort à la guérison d'un dysfonctionnement. Pour les Orientaux l'acupuncture. La pensée est une onde qui va du meilleur au pire. Le plus beau exemple de négativité et de nuisance est la magie noire (sic) utilisée en France par les veneurs, une bonne partie des chasseurs, les hauts grades de la franc maçonnerie et comme sésame pour accéder et détenir le pouvoir, N. Sarkozy. une nuisance dévastatrice sur l'individu qui reçoit ces émissions dans le but précis de l'éliminer.


    Vraiment dommage que cette fonction ait été supprimée, elle était le témoignage de l'esprit, de l'âme et de ses égarements.

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  • user
    Bernard Hausheer, Digne-les-Bains, France 26.03.2023 um 16:10

    Carl Gustav JUNG considérait dès 1910 que notre conscience était extra-corporelle (immatérielle). JUNG s'était brouillé avec Sigmund FREUD à cause de cela ; FREUD, de formation neurologue et matérialiste, considérant que tout se passait dans le cerveau.


    La position spiritualiste du psychiatre de Küsnacht (ZH) devrait permettre de concilier médecine et religion.

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