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  • Editorial

Ornithologische Beobachtung

10.07.2019 – Marc Lettau

Ornithologe bin ich nicht. Aber ich mag Vögel. Am liebsten die frei fliegenden und nicht jene im Käfig. Einem Vogel bin ich kürzlich zum allerersten Mal begegnet, frühmorgens, in den bernischen Voralpen.

Ein lauter, merkwürdig kullernder Klang beendete die Stille. Was war das? Auf einer nahen Anhöhe zeigte sich dann – ein stolzer Birkhahn, Lyrurus tetrix. Bläulich-schwarz glänzte sein Prachtsgefieder, weiss leuchteten die Schwanzfedern, rot der Kamm. Er beschallte den weiten Talkessel mit seinem Ruf. Dann flog er auf und davon. Für mich war es ein Glücksfall. Das Tier wird als potenziell gefährdete Art auf der Roten Liste geführt und ist auf der Nordseite der Schweizer Alpen so rar geworden, dass ich nicht damit rechnen durfte, seinen Weg zu kreuzen. Es ist nicht neu: Die Artenvielfalt ist auch in der Schweiz arg unter Druck.

Mit geschützten Tieren beschäftigte sich derzeit auch das schweizerische Parlament. Es will bisher streng geschützte Tierarten zum Abschuss freigeben. Noch wird über die Frage gestritten, ob Wolf und Biber neu ins Visier genommen werden dürfen – oder doch eher Wolf und Luchs. Vorgeschlagen wurde im Zuge der Debatten auch, den Schutz des Graureihers, des Gänsesägers und der unscheinbaren Waldschnepfe zu lockern. Auch unser Birkhuhn bereicherte den Disput. So wurde im Ständerat die Frage aufgeworfen, warum der Bund gefährdete Spezies – unter anderem eben das Birkhuhn – auf die Rote Liste setzt und dann gleichzeitig deren Dezimierung erlaubt.

Erst schützen, dann dezimieren: Das ist natürlich eine grobe Zuspitzung. Aber nicht nur: Je widersprüchlicher etablierte Politik erscheint, desto unverständlicher wirkt sie für Aussenstehende. Vielleicht trägt genau dies dazu bei, dass derzeit Schülerinnen und Schüler zu Tausenden auf die Strasse gehen. Sie fordern dort lautstark eine konsequente Klimapolitik, denn nur so lasse sich ein fataler Verlauf des Klimawandels abwenden. Der bisherigen Politik trauen sie offensichtlich wenig zu.

Ornithologisch betrachtet lässt sich sagen: An Streiktagen klingt es in den Innenstädten wie in einer lärmigen Voliere. Aber die alten Hasen im politischen Betrieb reagieren zunehmend auf das jugendliche Gezwitschere: Die meisten Schweizer Parteien sind angesichts der nahenden Wahlen im Begriff, sich selbst eine Grünfärbung zu verpassen. Grund genug für die «Schweizer Revue», genauer hinzuhören und der Frage nachzugehen: Wie ticken eigentlich die jungen Menschen, die da vorab marschieren?

Marc Lettau, Chefredaktor

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