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Simone Meier | Kuss

18.09.2019 – Ruth von Gunten

«Yann und Gerda liebten Sendungen mit Auswanderern oder Hausfrauen. Sie liebten es, Menschen dabei zuzuschauen, wie sie ohne Geld … alles aufgaben, nur weil sie zu sehr träumten.» Das schreibt Simone Meier über die zwei Hauptfiguren ihres neuen Romans. Auch Yann und Gerda hängen gerne ihren Träumen nach. Das Paar ist in den Mitdreissigern und soeben in ein ehemaliges Arbeiterhäuschen am Stadtrand gezogen. Gerda hat ihren Job als Grafikerin verloren und investiert nun ihre kreative Energie, um das heruntergekommene Haus in ein wohnliches Nest zu verwandeln. Yann arbeitet bei einem Think-Tank-Institut und sieht sich – nicht nur ungern – in die traditionelle Rolle des Familienernährers gedrängt. Immer mehr beginnt Gerda, sich in ihren Fantasien zu verlieren. Ihre imaginäre Liebesgeschichte mit Alex reisst sie nach einem mehr angedeuteten als realen Kuss in einen Strudel aus Hirngespinsten bis hin zum Wahn.

Parallel dazu wird die Geschichte von Valerie erzählt. Die fünfzigjährige Journalistin lebt vorübergehend im geerbten Nachbarshaus. Die zwei Geschichten verweben sich ineinander und es bahnt sich ein bitterböses Ende an.

Der Roman spielt in einer Schweizer Stadt, könnte aber überall in unserer urbanen Welt angesiedelt sein. Er zeichnet das Bild der Generation der Dreissig- bis Vierzigjährigen, die oft noch in einer Wohngemeinschaft leben, ohne festes Ziel und doch mit dem Wunsch nach Familie und Nestbau. Es ist eine Generation im Konflikt zwischen Emanzipation und konservativen Werten. Vintage ist angesagt, Wohnen im ehemaligen Arbeiterhaus gilt als trendy und ein gut bezahlter Job ist ein Must. Es ist kein gesellschaftskritischer Roman, den Simone Meier hier vorlegt. Doch beobachtet die Autorin klug ihr urbanes Umfeld und verarbeitet ihre Befunde geschickt in ihren Geschichten, indem sie die Figuren stark überzeichnet. Sympathisch erscheint die Figur der abgeklärten Valerie, die sich ganz real auf eine neue Liebesbeziehung einlässt. Das Buch liest sich leicht, seine Wirkung ist aber auch verstörend. Der schmale Grat zwischen Imagination und Wirklichkeit fordert den Leser. Auch wenn die Fassade bröckelt, wird lieber Fernsehen geschaut und fantasiert.

Simone Meier, geboren 1970, wuchs im Kanton Aargau auf. Nach dem Studium der Germanistik, Amerikanistik und Kunstgeschichte arbeitete sie als Kulturredakteurin bei der «WochenZeitung WoZ» und beim «Tages-Anzeiger». Heute schreibt sie für das Newsportal Watson und lebt in Zürich. «Kuss» ist ihr dritter Roman.

Simone Meier: «Kuss» Kein & Aber Verlag, Zürich 2019 256 Seiten; CHF 28.00, € ca. 22.00

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