Spielen Sie mal Beethovens 1. Klaviersonate so, dass man merkt, dass der Komponist noch im 18. Jahrhundert steckt, aber dass dennoch alle Hörerinnen und Hörer begreifen: Der wurde dann im 19. Jahrhundert ganz gross. Ilya Shmukler schafft das Kunststück – und zwar live.
Nicht nur das. Die Aufnahme, die jetzt auf CD vorliegt, stammt aus der ersten Runde des Zürcher Géza-Anda-Wettbewerbs 2024. Dann also, wenn die Pianisten nervös an den Fingernägeln kauend in irgendeinem blassen Raum in der Musikschule Konservatorium Zürich antraben müssen.
Shmukler war das egal: Er zauberte. Später kam das Halbfinale – oder sagen wir es nett: Es dümpelte an einem heissen Winterthurer Juniabend trotz des dirigierenden Jurypräsidenten und Meisterpianisten Mikhail Pletnev dahin. Bis dieser Shmukler kam und Mozarts 17. Klavierkonzert spielte – erneut ein Werk an der Schwelle: Mozart deutet 1784 kühn an, welche Grossartigkeiten schon ein Jahr später mit dem berüchtigten d-Moll-Konzert folgen würden. Shmukler zeigte genau diese Ambivalenz, so, dass alle im Stadthaus Winterthur wussten: Der muss ins Finale, ja, nach dem Konzert in der Zürcher Tonhalle würde der Wettbewerbssieger Ilya Shmukler heissen.
Die Géza-Anda-Stiftung wurde 1978 zur Erinnerung an den 1976 verstorbenen ungarisch-schweizerischen Pianisten errichtet. Dessen steinreiche Witwe Hortense Anda-Bührle war die treibende Kraft. Seit 1979 findet der Wettbewerb alle drei Jahre statt. Erstaunlich oder bezeichnend allerdings: Die Gewinner gehörten nie zu den Stars der Szene, die – etwa der Typ Bruce Liu oder Daniil Trifonov – entspringen anderen Wettbewerben.
Die Besonderheit liegt aber in der Förderung der Preisträger, denen während dreier Jahre kostenlos von der Géza-Anda-Stiftung Konzertauftritte vermittelt werden – in Europa, Südamerika und Asien. Die bekanntesten Preisträger der Vergangenheit waren Konstantin Scherbakov, Alexei Volodin, Nikolai Tokarew und Dénes Várjon.
Und nun eben dieser 1994 in Moskau geborene Ilya Shmukler. Auf einer Aufnahme können seine Wettbewerbs-Beiträge nachgehört werden, Werke von Beethoven, Schubert, Liszt, Bartók und Strawinsky. Da gibt es viel zu staunen über diesen sagenhaften Pianisten, von dem wir alle in naher und weiter Zukunft noch viel hören werden.
CHRISTIAN BERZINS
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