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Anna Felder | Li-qui-da

22.05.2018 – RUTH VON GUNTEN

Wie ein Wortspiel stehen die Silben des italienischen Buchtitels über den drei Kapiteln des Erzählbandes. Li steht für «dort» in Deutsch, qui für «hier» und Liquida kann mit flüssig, aber auch mit «er liquidiert» oder mit dem Imperativ «liquidiere!» übersetzt werden. Das Gefühl für Sprache, ihren Klang und die Lust, damit zu spielen, prägen alle Geschichten im Buch von Anna Felder. Erst in der letzten Erzählung lüftet die Autorin das Geheimnis um Liquida und überlässt den Lesenden dem Sinnieren über «vertrackte Flüssigkeit».

Die Geschichten im ersten Buchteil spielen in der Schweiz. In «Merlot im Tarnmantel» erzählt die Autorin eine Zugreise durch den Gotthard. Die Ich-Erzählerin beobachtet eine Frau, die den Merlot in eine Wasserflasche abgefüllt hat. Vielleicht, um unter den Mitreisenden keine Spekulationen über ihren Weinkonsum aufkommen zu lassen, vielleicht, um in ihren Erinnerungen ans Tessin ungestört zu bleiben.

«Ein Spielball des grenzenlosen Meeres: bei sich zu Hause, zwischen den alltäglichen Gegenständen und Namen, die noch ein wenig oben schwimmen, vorsichtig, unauffällig. Das Telefon läutet nicht mehr vorlaut ...» So beginnt die Erzählung «Madame Germaine» aus dem dritten Teil, in welcher eine alternde Frau versucht, mit ihrem verminderten Hörvermögen zurechtzukommen. Witzig zu lesen, was der Wechsel des Telefonhörers von einem Ohr zum andern alles auslösen und wie er die Perspektiven verändern kann. Das Meer wird hier zum Sinnbild der Stille, welche Madame Germaine immer mehr umgibt.

Zu ihrem achtzigsten Geburtstag versammelte Anna Felder unveröffentlichte und überarbeitete Erzählungen, welche nun auch in deutscher Übersetzung vorliegen. Die Autorin schreibt über eine Welt, die sie kennt und intensiv beobachtet. Das Alltagsgeschehen wird in kurzen Texten, immer durchzogen von feiner Ironie, ausgesponnen und oft sinnbildlich reflektiert. Jede Geschichte scheint in einem langen Prozess geschliffen zu sein, um am Ende in vielen Facetten zu funkeln. Es sind Miniaturen, denen man beim Wiederlesen immer wieder eine neue Seite abgewinnen kann.

Anna Felder, 1937 geboren, wuchs als Tochter eines Deutschschweizers und einer Italienerin in Lugano auf. Sie studierte Literatur in Zürich und Paris. Danach unterrichtete sie Italienisch an der Alten Kantonsschule in Aarau. Heute lebt die Schriftstellerin in Aarau und Lugano. Im Februar 2018 wurde sie von der Schweizerischen Eidgenossenschaft für ihr Lebenswerk mit dem Schweizer Grand Prix Literatur ausgezeichnet.

Anna Felder: «Liquida», Edizioni Opera Nuova 2017, 110 Seiten; CHF 20.00

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