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  • Natur und Umwelt

Energieminister Rösti zieht den Atomfreunden den Stecker

19.01.2024 – Christof Forster

Nach der Nuklear-Katastrophe von Fukushima war die Atomkraft in der Schweiz lange tabu. Dann gab die Furcht vor einer Stromknappheit jenen Aufwind, die neue Atomkraftwerke befürworten. Doch jetzt kommt erneut Widerstand – von unerwarteter Seite.

Die Anhängerinnen und Anhänger der Atomenergie freuten sich, als Anfang 2023 Albert Rösti (SVP) von Simonetta Sommaruga (SP) das Energiedepartement übernahm. Rösti war einer der Ihren: gegen die Energiewende und für neue Atomkraftwerke. Auf neue AKWs ist die Schweiz – nach ihrer Lesart – dringender denn je angewiesen. Doch ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen.

Bauverbot für neue AKWs

Schon lange hatte die AKW-Lobby davor gewarnt, dass die Stromversorgung der Schweiz ohne Atomkraftwerke nicht funktionieren könne. Nur hatte ihnen niemand zugehört. Nach der Nuklear-Katastrophe von Fukushima (2011) war die bereits zuvor umstrittene Atomenergie definitiv auf dem Abstellgleis. 2017 hiess das Stimmvolk die «Energiestrategie 2050» gut. Damit sagte es Ja zum schrittweisen Ausbau der erneuerbaren Energien und zu einem Bauverbot von neuen AKWs. Indirekt hat der Entscheid dazu beigetragen, dass im Kanton Bern das AKW Mühleberg ausser Betrieb genommen wurde und derzeit zurückgebaut wird. Die Schweiz wird dabei in einer neuen Disziplin viel Erfahrung sammeln: der Stilllegung von Atommeilern.

Schleppender Ausbau der Alternativen

Energieminister Albert Rösti will den Fokus auf die Stromproduktion in den nächsten fünf bis zehn Jahren legen. Neue AKWs könnten laut ihm die kurzfristigen Probleme nicht lösen. Foto Keystone

Derweil kam der geplante Ausbau von Fotovoltaik- und Windanlagen nie richtig vom Fleck. Weil es genug Strom gab, fehlte der Druck auf das Parlament, die Erneuerbaren stärker zu fördern. Bald kam ein erster Warnschuss. Im Herbst 2021, gut vier Jahre nach der Abstimmung zum Atomausstieg, warnte der Bund in einer Studie vor möglichen «Strommangellagen». Die Studie beschrieb zwar ein absolutes Worst-Case-Szenario. Doch die Nachricht schreckte Politik und Bevölkerung auf.

Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP), bereits damals Gegnerin der Energiewende, kritisierte die «Notkocherpolitik» des Bundesrats und forderte nun lauthals den Bau neuer AKWs angesichts der drohenden Stromknappheit. Auch die AKW-Lobby hat sich neu aufgestellt. Als junges Gesicht unter grauen Atomfreunden präsentierte sich Vanessa Meury. Die 26-Jährige ist Präsidentin des Energie-Clubs Schweiz, der sich für eine «langfristig zuverlässige und umweltgerechte Energie-Politik» einsetzt. Im Herbst 2021 sagte Meury in den Tamedia-Zeitungen: «Ich glaube, die Stimmung ändert sich gerade zu unseren Gunsten.» Auf ihr Plädoyer für mehr Atomkraft erhält sie viel Zuspruch. Der Energie-Club will das Neubauverbot aus dem Gesetz streichen und lanciert dazu eine Volksinitiative mit dem Titel «Stopp dem Blackout».

Russischer Angriff löste Energiekrise aus

Die Energiekrise in Europa, ausgelöst durch den russischen Überfall auf die Ukraine, gab den Atomfreunden zusätzlich Auftrieb. Dass der Strom im Winter in der Schweiz knapp werden könnte, wurde nun zu einem realistischen Szenario. Bund und Kantone entwickelten Krisenpläne. Minutiös wurde geregelt, wer wann noch wie viel Strom verbrauchen darf. Energieministerin Sommaruga rief zu sparsamem Kochen und zum gemeinsamen Duschen auf. Viele rieben sich verwundert die Augen und fragten sich, wie es so weit kommen konnte in einem Land, in dem es seit Jahrzehnten Strom im Überfluss gab.

Die Schweiz hat den Winter 2022/23 schliesslich glimpflich überstanden – auch dank milden Temperaturen und dem schnellen Ersatz des russischen Gases durch andere Quellen. Das Parlament erkannte den Ernst der Lage und forcierte den Ausbau von erneuerbaren Energien. Und die Anhängerinnen und Anhänger der Atomenergie wurden definitiv wieder salonfähig. Das hängt auch damit zusammen, dass die Debatten über die künftige Stromversorgung näher an der Realität geführt werden. Die Elektrifizierung von Verkehr und Heizen wird den Strombedarf massiv erhöhen. Zudem gilt es, die bestehenden AKWs zu ersetzen, die einen Drittel zur jährlichen Stromproduktion beitragen.

Rösti überrascht die AKW-Lobby

Die Bühne schien gemacht für den grossen Auftritt des AKW-Befürworters Albert Rösti. Doch der neue Energieminister zog überraschend den Stecker. «Diese Diskussion ist heute müssig – wenn nicht sogar kontraproduktiv», sagte er im September 2023 in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ). Er habe im Moment wirklich gar kein Interesse, eine Debatte über die Kernkraft loszutreten. Es gelte nun, die vom Stimmvolk beschlossene Energiestrategie so gut wie möglich umzusetzen.

Rösti legt also sein ganzes Augenmerk auf den Ausbau der Stromproduktion in den nächsten fünf bis zehn Jahren. In dieser Zeit sei zusätzlicher Strom dringend gebraucht. Eine Grundsatzdiskussion über neue AKWs würden laut Rösti diese Bemühungen in gefährlicher Weise torpedieren. Zumal neue Kernkraftwerke die kurzfristigen Probleme nicht lösen. Experten gehen davon aus, dass Bewilligung und Bau eines neuen Atommeilers rund 20 Jahre dauern würden.

Der Traum vom Thorium-Meiler

Während der SVP-Bundesrat den Stecker zieht, wollen ihn andere am liebsten gleich wieder einstecken. Die Genfer Firma Transmutex entwickelt ein Atomkraftwerk, das ohne Uran läuft und sogar den Müll der alten Reaktoren vernichten soll. Am Projekt beteiligt ist Maurice Bourquin, früher Rektor der Universität Genf und ehemaliger Präsident des Cern-Rats. Jüngst forderte Bourquin vom Bundesrat die Realisierung eines solchen Thorium-Reaktors zu prüfen – trotz AKW-Neubauverbot.

Anstelle von Uran wird in einem solchen Meiler Thorium als Brennstoff verwendet. Im Unterschied zu herkömmlichem radioaktivem Abfall würden die anfallenden Reststoffe Schätzungen zufolge nicht Hunderttausende, sondern «nur» noch einige Hundert Jahre strahlen. Zudem könnte die Menge mit der geplanten Brennstoff-Kreislaufwirtschaft drastisch reduziert werden. Allerdings würden dabei hochenergetische Gammastrahlung und Hitze entstehen. Der Abfall müsste für eine sichere Endlagerung gekühlt werden, was mit Unwägbarkeiten verbunden ist.

AKW-Gelände als Riesenbatterie?

Daneben kursieren auch Ideen, wie das Gelände von stillgelegten Reaktoren für andere Zwecke genutzt werden könnte. So schlagen die Grünliberalen vor, dort Stromspeicher zu bauen – als Absicherung gegen Strommangellagen. Die Stromkonzerne zeigen sich grundsätzlich offen, geben aber zu bedenken, dass die Areale von ehemaligen AKWs erst 15 Jahre nach der Stilllegung für andere Zwecke genutzt werden können.

Den im Betrieb stehenden AKWs will Rösti übrigens nicht den Stecker ziehen – im Gegenteil. Es dürfe keinen zweiten «Fall Mühleberg» geben, sagte er im NZZ-Interview. Notfalls solle sogar der Staat einspringen, damit die Werke länger betrieben werden könnten. Die Betreiber gehen inzwischen von Laufzeiten von 60 Jahren oder mehr aus für ihre Atommeiler.

Mehr zum Thema Atomenergie – und Atommüllentsorgung: revue.link/deponie

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