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  • Literaturserie

Urs Widmer | «Im Kongo», wo Biertrinken die Hautfarbe bestimmt

19.05.2017 – Charles Linsmayer

1996 liess der Schweizer Schriftsteller Urs Widmer der Sehnsucht nach Afrika auf fantastischste Weise freien Lauf.

Im Frühling vor 21 Jahren, als Urs Widmer mit der weltweit erfolgreichen Outsourcing-Komödie «Top dogs» in aller Munde war, kündigte sein Verlag einen Roman mit dem Titel «Im Kongo» an. Erstaunt fragte man sich, ob der lange Jahre in Frankfurt ansässige, inzwischen 58-jährige, in Zürich lebende Basler zwischendurch mal in Afrika gelebt oder der Öffentlichkeit zumindest einen Abstecher in den Urwald verheimlicht habe. Als der Roman dann im Herbst 1996 vorlag, war er aus der Optik eines Zürcher Altenpflegers geschrieben, den ein mysteriöses Schicksal in den Kongo verschlägt, wo er einem Laptop seine Memoiren anvertraut.

Kuno Lüscher heisst der Mann, und bevor er sich dem umliegenden Wald zuwendet und Sätze schreibt wie «In den Nächten des Vollmonds opferst du den Mächtigen Früchte», ist sein Vater das Thema. In den Geschichten, die der Chefspion der legendären Schweizer Wiking-Linie dem Sohn erzählt hat, treten Hitler in Lederhosen und Eva Braun im Nachthemd auf, fordert der Agentenkrimi aber auch Opfer wie Kunos Mutter, die der clevere Spion nicht hat retten können. Dann aber, im dritten Kapitel, tritt der Kongo in sein Recht und erfahren wir, auf welch abenteuerliche Weise Lüscher afrikanischer Stammeshäuptling geworden ist.

Trinken und Ekstase

Im Auftrag einer Schweizer Brauerei reist Kuno nach Kisangani, um da den von seinem Jugendfreund Willy geleiteten Filialbetrieb zu inspizieren. Zunächst aber begegnet er nicht Willy, sondern einer schwarzen Frau, die sich als seine inzwischen mit Willy verheiratete ehemalige Geliebte Sophie ausgibt und ihn ohne Federlesens ins Bett zieht, wo «die Flutwellen der Ekstase über ihnen zusammenschlagen». Als sich ein weiterer Schwarzer als Willy ausgibt, ist Kuno sicher, mit einer Bande von Mördern und Betrügern konfrontiert zu sein, und er nimmt den Farbwandel erst für bare Münze, als der schwarze Willy den Sechseläutenmarsch intoniert und er beim Genuss des kongolesischen Eigenbräus «Anselme Bock» mit Staunen konstatiert, wie auch seine eigene Haut von Weiss zu Schwarz zu mutieren beginnt.

Zunächst als Willys Gross-Wesir und nach einer siegreich beendeten Schlacht als Häuptling, lebt Kuno den Rest seines Lebens im Kongo, geht im Lendenschurz herum und küsst nachts Anne, die lange vergeblich umschwärmte Arbeitskollegin aus dem Altenheim – bei einem Aufenthalt in Zürich hat er sie nun doch noch von sich überzeugen können, hatte sie seinerzeit doch verkündet, er könne auf sie warten, bis er schwarz sei. Daneben aber erregt Kuno der Wald «wie nie etwas zuvor». «Jeden Abend tauche ich in diese paradiesische Hölle ein. Geräusche, wie du sie noch nie gehört hast. Ein Rauschen, das der Nachhall des Schöpfungsknalls sein mag.»

Was ist erfunden, was nicht?

Er sei nie im Kongo gewesen, behauptete Urs Widmer der «Berner Zeitung» gegenüber. «Das ganze Buch hat Wunscherfüllungscharakter.» Als ich ihn im September 1996 in seiner Schreibklause in Zürich-Hottingen besuchte, sass Widmer vor seiner IBM-Kugelkopfmaschine, in die ein erster Text des geplanten Bands «Vor uns die Sündflut» eingespannt war, und erzählte mir von seinem Onkel Emil Häberli, der massgeblich an der sogenannten «Wiking-Linie» beteiligt war, aber auch vom Sonnenuntergang in Timbuktu, wo die Sonne «einem abstürzenden Flugkörper gleich in den Horizont» stürze. Ich liess meine Blicke herumschweifen und konstatierte, dass auf einem Gestell, neben dem Gummizwerg aus Kinderzeiten, eine Bierflasche mit dem Staatswappen von Zaire stand, dass unter den Blättern mit den verworfenen Entwürfen, die er hinter dem Arbeitstisch auf den Boden zu werfen pflegte, etwas wie der Deckel eines Laptops hervorblinkte und Widmers Gesicht bei näherem Zusehen eindeutig Spuren eines Sonnenbrands aufwies.

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich.

«Immerhin will ich nichts essen, bis ich fertig bin. Drei Tage sollen mir genügen, Schreiben und Fasten. Wenn ich keine Pausen mache, sollte ich es in 72 Stunden schaffen, mich aus dem fernen Damals ins Jetzt vorzuschreiben. Erinnerung und Leben werden für den Hauch eines kostbaren Augenblicks eins sein. Danach ist es egal, wie ich das Werk abschliesse.»

Aus Urs Widmer, «Im Kongo», Diogenes, Zürich, 1996

Bibliografie: «Im Kongo» ist 1996 bei Diogenes, Zürich, erschienen.
 

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