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  • Reportage

In der Schweiz gehört das Salz immer noch dem Staat

08.12.2023 – Stéphane Herzog

Das in der Schweiz gewonnene Salz deckt den gesamten inländischen Bedarf ab. Seit dem 17. Jahrhundert schützt ein staatliches Monopol den in den Tiefen der Erde verborgenen weissen Schatz. – Reportage aus den Salinen von Bex, dem letzten Salzbergwerk der Schweiz.

Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Auf der Spur des ältesten Schweizer Importverbots.

Die kleine elektrische Grubenbahn fährt unter Tage und rattert durch Tunnels, deren Decken so niedrig sind, dass man darin kaum aufrecht stehen könnte. Mit Nummern versehene Lampen markieren die Strecke, aber man kann nicht erkennen, ob man gerade abwärts oder aufwärts fährt. Endlich hält das Wägelchen in einem unterirdischen Bahnhof. Unser Führer erklärt, dass wir auf der 1,6 Kilometer langen Fahrt in den Berg um etwa zwanzig Meter gestiegen sind. Die Arbeiter hatten im 17. Jahrhundert ihre Gründe, die Stollen so anzulegen: So ist die Fahrt aus dem Berg leicht fallend. «Es ist leichter, das herausgebrochene Gestein mit etwas Gefälle aus der Mine zu fahren», erklärt Arnaud Tamborini, Produktionsleiter des Standorts Bex der Schweizer Salinen.

Fast unscheinbar ist dagegen der Eingang zu den Stollen, die tief in den Berg führen. Fotos Stéphane Herzog

Im kleinen Besucherbahnhof tief im Berg ist es absolut still. Die Temperatur liegt bei 18 Grad, die relative Luftfeuchtigkeit bei 80 Prozent. So tief unter der Erde fühlt man sich beengt und geborgen zugleich. Willkommen im Salzbergwerk von Bex im Kanton Waadt. Es ist das letzte noch genutzte Salzbergwerk der Schweiz in einer Region, in der es früher eine ganze Reihe davon gab. Damals wurde die aus den Felsen gewonnene Sole – salzgesättigtes Wasser – in grosse Kessel gefüllt und über einem Holzfeuer erhitzt, um das wertvolle Element zu gewinnen. Übrigens ist es überhaupt das letzte Bergwerk der Schweiz, das noch in Betrieb ist. Jeder Tunnel, jede Kaverne erzählt eine Geschichte. Ganz besonders der Schacht von Bouillet, der 26 Jahre lang von Männern mit Hammer und Messer in 200 Metern Tiefe gegraben wurde – ohne dass sie dabei jemals Salz fanden.

Ein archaisches Monopol?

Ein Gericht oder eine Strasse salzen? Hinter diesen einfachen Handlungen verbirgt sich eine gar nicht so einfache Geschichte, denn während Jahrhunderten war Salz ein Machtsymbol (siehe Kasten auf Seite 22). Das Nahrungsmittel Salz geniesst in der Schweiz auch heute noch einen Sonderstatus. Das gesamte Salz, das während eines Jahres im Land gewonnen wird, ist fast ausschliesslich für den Schweizer Markt bestimmt. Die Einfuhr von Salz wird streng kontrolliert. Ein einziges Unternehmen überwacht alles und bestimmt den Preis: die Schweizer Salinen, gemeinsames Eigentum aller Kantone und des Fürstentums Liechtenstein. Eine interkantonale Vereinbarung aus dem Jahr 1973 garantiert die Versorgung aller Regionen der Schweiz mit Salz. Dieses Monopol hat bereits für einigen Wirbel gesorgt, da die Kantone die Salzpreise einseitig festlegen und dann vom Verkauf an die Gemeinden profitieren, die es für die Schneeräumung benötigen.

Das weisse Gold wird an drei Orten abgebaut: Riburg (AG) östlich von Basel, Schweizerhalle (BL) und Bex (VD). Zusammen produzieren sie bis zu 650 000 Tonnen Salz pro Jahr. Im Mittelland haben sich 20 bis 50 Meter starke unterirdische Schichten gebildet, die bis zu 250 Meter tief unter der Erde liegen. Es wird nach Salz gebohrt wie in Texas nach Erdöl. In Bex jedoch graben die Männer in Stollen auf der Suche nach Salzadern. Das so gewonnene Speisesalz wird als handwerklich hergestelltes Produkt eingestuft. In Supermärkten wird es als Alpensalz angeboten. «Das Salz ist ein geschichtsträchtiges Produkt und wird wie ein Premiumartikel behandelt», betont Arnaud Tamborini. Auch sein Marketing ist top. Eine Packung Alpensalz kostet einige Dutzend Rappen mehr als das einfache, in Basel hergestellte Jura-Salz.

Gibt es geschmackliche Unterschiede? Laut dem Verein Kulinarisches Erbe der Schweiz schmeckt das Jura-Salz aus dem Rhein etwas aggressiver. Die Salinen von Bex bauen ihre Salzadern ab und stellen so ihr «Fleur des Alpes» her, ein Salz aus dem Inneren des Bergs. Das dort fliessende Gletscherwasser reichert sich mit Salz und anderen Mineralien an. In Speicherbecken verdunstet es. Dann werden die Kristalle von Hand gesammelt und auf Lärchenholzbrettern ausgebreitet.

Im Bergwerk von Bex beläuft sich die Anzahl der Bergleute auf ... drei. Diese drei bewältigen alleine die gesamte Produktion der Mine und fördern rund 30 000 Tonnen Salz pro Jahr. Die Männer bohren bis zu einer Tiefe von 800 Metern Löcher in den Fels. Anhand der in Abständen von drei Metern aus dem Berg geholten Bohrkerne lässt sich ermitteln, wo sich die Salzadern befinden. «Durch unsere Bohrungen kennen wir so langsam unsere Vorkommen», erzählt Arnaud Tamborini. Dann wird ein gelochtes Rohr, das sich in einem weiteren Rohr befindet, in das Bohrloch bis zur Ader eingeführt. Nun wird mit hohem Druck Quellwasser eingespritzt. Es löst das weisse Gold, reichert sich damit an und fliesst hinunter zum Produktionsbetrieb in Bex.

Nach 200 Millionen Jahren im Dunkeln kommt es ans Licht

Nur etwa zehn Prozent des waadtländischen Salzes ist für den Verzehr bestimmt. Der Rest wird für das Salzen der Strassen und für industrielle Zwecke verwendet. Zum Produktionsbetrieb gehört auch eine Lagerhalle mit einer Gesamtkapazität von 12 000 Tonnen. Hier stehen die Besucher vor einem riesigen Salzberg! Ist es nicht schade, dass dieses Salz einfach auf den Boden gestreut wird? Laut den Schweizer Salinen dürfte das Produktionsvolumen für das Speisesalz aus Bex in Zukunft steigen, insbesondere auch, weil dieses hochwertige Produkt exportiert wird. Die Suche nach Salz in den Tiefen der Erde ist nicht ohne Risiko. Die Salzgewinnung ist eine noble Tätigkeit. «Wenn es unseren Betrieb verlässt, sieht das Salz nach 200 Millionen Jahren zum ersten Mal das Tageslicht», sagt dazu der Produktionsleiter des weissen Goldes von Bex.

Das älteste Monopol der Schweiz

Seit dem Mittelalter kauften die Schweizer ihr Salz zum Einsalzen in Deutschland oder Frankreich. Käse aus dem Pays d’En-Haut, aus dem Greyerzerland, dem Emmental und den Alpen wurde zum Genfer See, nach Genf und dann bis nach Marseille transportiert. In der Renaissance wurden diese Käselaibe über alle Weltmeere verschifft.

Ab dem 17. Jahrhundert wurde ein Monopol in allen Schweizer Kantonen und sämtlichen Staaten Europas geschaffen. Die Salzsteuern wogen schwer auf der Bevölkerung. «Um die Missbräuche des Ancien Régime zu bekämpfen, beschlossen die Staaten, den Salzhandel zu kontrollieren», erläutert Dominique Zumkeller, Wirtschaftshistoriker in Genf.

In Bex waren es angeblich Ziegen, die die Salzwasserquellen aufspürten. Das leicht salzhaltige Wasser wird erstmals im Jahr 1554 erwähnt. Im Jahr 1685 kaufte Bern, das damals international eine Machtstellung einnahm, alle Konzessionen in der Region auf, um seine eigene Versorgung sicherzustellen. Bex ist das erste in der Schweiz entdeckte Vorkommen. Darum wird es um jeden Preis abgebaut.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichten industrielle Techniken es der Schweiz, ihre Versorgung autonom zu sichern. Auch heute sind Begriffe wie Rentabilität und Fortbestand der Produktion Motivation für die Verantwortlichen der Salinen von Bex. Dies zeigt sich auch im Bau einer neuen Wasserkraftanlage am Fluss Avançon, «die es dem Produktionsbetrieb ermöglichen wird, Salz auf umweltverträgliche Weise zu gewinnen», so Arnaud Tamborini. Die Wasserkraft wird den gesamten Strom erzeugen, der für die hitzeintensive Sole-Aufbereitung durch Verdampfung benötigt wird. Das Salzmonopol wird wohl noch eine ganze Weile weiterbestehen.

(SH)

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Kommentare :

  • user
    Clementine Whelan, San Diego, California 29.02.2024 um 06:34

    It was a pleasant surprise for me to find the December 2023 Swiss Revue story on Switzerland's salt industry.


    As it turns out, I was born at the farm house - still existing - at Le Bevieux (Revue map insert) which was built on the hill just overlooking the Bex salt mine (l'usine de sel). Our family of seven lived there from 1934 through 1950. Among others we raised turkeys which my enterprising mother would advertise and sell "farci, larde, pret a mettre au four" (stuffed, larded, oven-ready) across the canton for Christmas, using the Post which was extremely fast and reliable. However these birds had a tendency to escape and would fly away, landing on the Usine roof - which proved to be a challenge at the approach of the holidays.

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