Mindestens 408 Schweizer Bürgerinnen und Bürger wurden während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslager deportiert. Dazu kommen mindestens 334 Männer, Frauen und Jugendliche, die in der Schweiz geboren wurden, hier aufwuchsen, oft Mundart sprachen, aber die Schweizer Staatsbürgerschaft nicht besassen. Von diesen insgesamt 742 Menschen überlebten 468 die Konzentrationslager nicht.
Nicht in allen Fällen verhielt sich die Schweiz so schändlich wie bei Anna Böhringer – aber in vielen. Für die Schweizer Behörden zählten damals Juden, Linke, Homosexuelle, Widerstandskämpfer, Behinderte oder Asoziale als Bürger zweiter Klasse, für die man sich nicht einsetzte. Bei denen man froh war, sie los zu sein. Es waren bezeichnenderweise die gleichen Minderheiten, die auch die Nazis zu vernichten suchten.
Erinnerung ist wichtig, aber ein Mahnmal ist nicht mehr als kalter Stein, wenn wir uns als Gesellschaft nicht ernsthaft mit dem Unrecht der Vergangenheit auseinandersetzen und Lehren für die Zukunft daraus ziehen.
Bis vor kurzem zeigte kein Land in Westeuropa ein so grosses Desinteresse gegenüber der eigenen NS-Opfer wie die Schweiz. Sie gingen schlicht vergessen.
Seit letztem Jahr ist einiges in Bewegung geraten. Mit Simonetta Sommaruga anerkannte zum ersten Mal eine Bundespräsidentin das Schicksal der verfolgten Schweizerinnen und Schweizer. In Zürich gründeten engagierte Bürgerinnen und Bürger einen Verein, der mit Stolpersteinen vor den ehemaligen Wohnorten der NS-Opfer gedenkt. Sieben wurden bisher verlegt, in Basel, Bern und Winterthur sollen weitere dazukommen. Engagierte Lehrer behandeln das Thema in Schulen, Studierende schreiben Masterarbeiten über Schweizer Opfer.
Das Fundament für ein nationales Mahnmal mit einem Dokumentationszentrum ist gelegt. Ob es etwas bewirken wird, liegt nun in unserer Hand. Wir sind es Anna Böhringer und allen anderen Opfern schuldig.
Weiterlesen: Gastbeitrag | Die Schweiz soll ein offizielles Holocaust-Mahnmal bekommen
Kommentare