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  • Literaturserie

Isabelle Eberhardt | Eine Unrastige auf Reisen

15.11.2016 – Charles Linsmayer

Als Afrikareisen noch «Expeditionen» hiessen und Männern vorbehalten waren, ritt die in Genf geborene Isabelle Eberhardt in Männerkleidern durch die Wüste und hinterliess Aufzeichnungen von beklemmender Eindringlichkeit.

Sie war nicht nur von der Wüste und dem Meer, sondern vor allem auch von der Welt des Islam fasziniert, die am 17. Februar 1877 in Genf geborene Isabelle Eberhardt. Ob ihr Vater der aus Armenien stammende anarchistische russisch-orthodoxe Priester Alexander Trofimowski oder vielleicht sogar der Dichter Arthur Rimbaud war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Zweifelsfrei fest steht nur ihre Mutter, die Deutsch-Baltin Nathalie Eberhardt, mit der die von Trofimowski privat geschulte 20-Jährige 1897 im algerischen Bône erstmals afrikanischen Boden betrat.

Mutter und Tochter traten sofort zum Islam über, und als Nathalie Eberhardt noch im gleichen Jahr an Herzversagen starb, begann Isabelle in Männerkleidern und unter dem Namen Si Mahmoud auf einem Araberhengst jene Ritte durch die Wüste Sahara und zu den Beduinen, die sie in ihren «Journaliers» («Tagwerken») beschrieben hat. Ein einziges Mal nur kehrte sie noch in die Schweiz zurück: als sie den an Krebs erkrankten Trofimowski in dessen letzten Monaten betreute. 1900 aber war sie in Algerien zurück, wo sie das Schicksal des verschollenen Marquis de Morès ergründen wollte, wieder lange Ritte in die Wüste unternahm und sich in den schönen Algerier Slimène Ehnni verliebte, den sie im Oktober 1901 in Marseille heiraten würde.

Als Unruhestifterin ausgewiesen

Zuvor aber, Anfang 1901, hatte sie in Algerien mit Glück das Attentat eines religiösen Fanatikers überlebt, der ihr mit einem Säbel den Kopf spalten wollte. Der Mann wurde zwar verurteilt, aber sein Opfer verwies man als «ausländische Unruhestifterin» des Landes. Ein Jahr später kam sie mit Slimène als verheiratete Frau wieder zurück, arbeitete als Kriegsreporterin und kam mit der Veröffentlichung ihrer früheren Reportagen in Frankreich zu einigem Renommee. Glücklich aber war sie nicht. Schwer alkoholkrank und depressiv, wollte sie mit Slimène gemeinsam Selbstmord begehen. Sie starb dann aber nicht von eigener Hand, sondern mit 27 Jahren als Opfer der Wassermassen, die nach heftigen Regenfällen das Militärlazarett von Aïn Sefra unter sich begruben, wo sie nach einem Malariaschub Zuflucht gesucht hatte.

Von der Vergessenen zur Kultautorin

Wunderbarerweise wurden die Manuskripte und Tagebuchblätter, die sie bei sich hatte, nur leicht beschädigt und konnten zu den anderen Texten hinzugefügt werden, mit denen Eberhardt 1905/06 und 1922 auf Französisch und seit 1981 auch auf Deutsch für unzählige Leserinnen und Leser zu einer Art Kultautorin wurde. Zu einer Schriftstellerin, für die das Erlebnis der Wüste, die Begegnung mit dem Islam, die Erfahrung von Einsamkeit und Verlorenheit und die Suche nach der eigenen Identität zwischen den Geschlechtern und abseits jeglicher Konvention zu einer am Ende tödlichen Odyssee geworden war.

«Was für ein Vergnügen, jemanden zu treffen, der ganz er selbst ist, jenseits aller Vorurteile, aller Heuchelei und aller Klischees, und der ein freies Leben führt wie ein Vogel in der Luft», sagte der französische General Lyautey, der sie als Spionin engagiert hatte, an ihrem Grab.

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich. 

«In diesen Tagen der Angst, der Ungewissheit und der Traurigkeit merke ich ganz besonders, wie sehr ich an diesem Land hänge und wie sehr ich mich mein ­ganzes Leben lang, wo immer ich in Zukunft sein werde, bitter nach ihm sehnen werde, dem Land des Sandes und der Sonne, der tiefen Gärten und der Winde, die die Sandwolken über die Dünen rollen.»

Tagwerke, 28.1.1901, in «Sandmeere», Bd. 1

März-Verlag, Berlin, 1982, S. 137

BIBLIOGRAFIE: Deutsch sind «Sämtliche Werke» als Rororo-Taschenbuch greifbar. Bei Lenos, Basel, erschienen «Briefe, Tagebuchblätter, Prosa». Alex Capus porträtierte Isabelle Eberhardt in «Himmelsstürmer», Knaus, München 2008, Alexandra Lavizzari beschrieb ihre letzten Monate in «Nach Kenadsa», Friedmann, München 2005.
 

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