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  • Literaturserie

Heinrich Anacker | «Starke Lieder unserer Sehnsucht»

10.07.2019 – Charles Linsmayer

Hitlers braune Horden zogen 1933 mit Kampfliedern des Aarauer Fabrikantensohns Heinrich Anacker in die deutschen Städte ein.

«Hätte Herr Anacker sich nur rechtzeitig bescheiden und seine Verse ausschliesslich einem privaten Mägdlein-Album anvertrauen mögen – er wäre als Dichter vollkommen.» So urteilte 1924 der Journalist und Lyriker Siegfried Lang über den bei Sauerländer in Aarau erschienenen Gedichtband «Auf Wanderwegen». Und er hätte sich niemals vorstellen können, dass der angesehene Berliner Grote- Verlag 1937 einen Band mit dem Titel «Von Klopstock bis Anacker. Deutsche Gedichte aus zwei Jahrhunderten» edieren würde. Ebenso unvorstellbar muss für ihn gewesen sein, dass zwischen 1932 und 1943 mehr als 180 000 Anacker-Lyrikbände in den Handel kommen und ihr Autor am Ende der auflagemässig erfolgreichste Schweizer Lyriker des 20. Jahrhunderts sein würde.

SA-Mann und Dichter

Des Rätsels Lösung heisst Nationalsozialismus, denn frustriert über die Verrisse seiner sechs bis 1931 publizierten Gedichtbände – formal konventionelle Verse über Jugend, Liebe, Natur und Wanderschaft –, entdeckte der am 29. Januar 1901 in Aarau geborene Fabrikantensohn, dass er bloss Adolf Hitlers Botschaft in Marschrhythmus zu setzen brauchte, um Tausende von begeisterten Fans zu finden und von den Nazi-Bonzen mit dem Bekenntnis eines neutralen Schweizers zu ihrer reaktionären Ideologie jede nur erdenkliche Förderung zu erwirken. In rotes Leinen gebunden, erschienen Anackers Verse im parteieigenen Eher-Verlag, und ab 1932 zogen Hitler-Jugend und SA-Verbände mit Anacker-Trutzliedern wie «Die Strasse dröhnt vom Eisentritt» oder «Nun erst recht!» in die Städte und Dörfer ein. Höhepunkt war die Verleihung des «Preises der NSDAP für Kunst» auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 und die Laudatio von Alfred Rosenberg, der verkündete: «Als ein Sänger unserer Zeit hat Anacker immer wieder die Geister angefeuert und in stets sich erneuernder Leidenschaft starke Lieder unserer Sehnsucht gesungen.»

Angesichts solcher Protektion zog es die Schweizer Kritik, der die sentimentalen Anfänge des Naturbewegten ein Dorn im Auge gewesen waren, vor zu schweigen, und das peinliche Problem löste sich schliesslich von selbst, als Heinrich Anacker und seine Frau Emmy, geborene Bofinger, am 11. Dezember 1939 auf eigenen Wunsch aus dem Aarauer und Schweizer Bürgerrecht entlassen wurden.

Im Reich aber blieb dem aus Helvetien importierten Polit-Lyriker die Gunst des Führers bis fast zuletzt erhalten. Als der Krieg begann, nahm er in Uniform an den Feldzügen in Frankreich, Belgien und Norwegen, später auch in Russland, teil: mit der einzigen Verpflichtung, seine Beobachtungen in Versform zu publizieren. Erst als es mit dem Siegen zu Ende ging, zerstörte die Wehrmacht das absurde Lyrikeridyll und versetzte Anacker zu den Verwundetentransporten. Aber die Katze lässt das Mausen nicht: Anacker überlebte seine Protektoren, und im Gefangenenlager Ansbach dichtete er erneut drauflos und erlebte den Triumph, dass die GIs der Wachmannschaft sich von ihm handgeschriebene Gedichte erbaten, um sie als Kostproben deutscher Dichtung nach Amerika zu schicken. Bis zu seinem Tod am 14. Januar 1971 lebte Anacker mit seiner Frau Emmy, einer Bäckerstochter aus Zürich, in Wasserburg bei Lindau – nach wie vor gläubiger Nationalsozialist, den Blick auf die Schweiz jenseits des Bodensees gerichtet.

Er dichtete unentwegt weiter und diktierte seine Lyrik wie schon 1933 bis 1943 einer Sekretärin, die die fertig getippten Verse im Format DIN A5 einzeln in insgesamt zwölf eigens gefertigte Holzkisten ablegte, wo sie für die Ewigkeit aufbewahrt werden sollten. Wobei es genügte, ein oder zwei der Blätter in die Hand zu nehmen, um sich von der völligen Wertlosigkeit der banalen und nach den ewiggleichen vorgestrigen Schemen konstruierten Reimereien zu überzeugen. Die Schweiz aber tabuisierte der «Lyriker der braunen Front» aus einem merkwürdigen Schamgefühl heraus bis zuletzt. Mit den Schweizer Frontisten und deren Anschlussideen hatte er jedenfalls nichts zu tun haben wollen, denn laut seiner 1984 verstorbenen Ehefrau war die Schweiz für ihn seit je her «etwas Eigenes, das man nicht antasten soll».

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich.

«Städte hab’ ich durchwandert, gross und klein. Keine gab mir, o Zürich, Heimat wie du, keine liess mir des See’s blaue Bucht so als göttliches Friedens­geschenk erscheinen. Viele fremde Städte noch winken mir, Mancher fremde Brunnen noch wird mich laben. Aber im Innersten werde ich Heimweh haben, Stadt meiner Seele, du schönes Zürich, nach dir!»

Heinrich Anacker: «Zürich», aus «Bunter Reigen», Aarau, 1931, vergriffen

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