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Jonas Lüscher | Eine Million Dollar gewinnen

19.05.2017 – RUTH VON GUNTEN

«Aber Kraft tut sich schwer. Und wie immer, wenn er sich schwertut, flüchtet er in die Recherche.»

Nicht nur mit dem Vortrag, den er als Teilnehmer eines wissenschaftlichen Wettbewerbs im Silicon Valley halten sollte, tut sich der Rhetorikprofessor aus Tübingen schwer. «Warum ist alles, was ist, gut; und wie können wir es dennoch verbessern?» Auf diese Frage soll Richard Kraft antworten. Es lockt ein Preisgeld von einer Million Dollar. Damit könnte er sein Leben ordnen und die wohl unausweichliche Scheidung finanzieren.

In etwas über 200 Seiten folgen wir dem Professor in die USA an die renommierte Stanford Universität, an der er während vier Wochen die 18-minütige Antwort auf die Preisfrage schreiben will. In Deutschland zurückgelassen hat er seine zweite Ehefrau und die Zwillingsmädchen. In Rückblenden erfährt der Leser einiges über den Werdegang von Kraft, seine Beziehungen zu Frauen und seine Freundschaft zu Istvan, dem Pseudo-Dissidenten aus Ungarn, bei dem Kraft nun zu Gast ist. Das in einem Crescendo endende Finale soll hier nicht verraten sein.

Nach dem hochgelobten Erstlingswerk, der Novelle «Frühling der Barbaren», wurde der nun vorliegende Roman von Jonas Lüscher mit Spannung erwartet. Durch die Wirform, die den Leser miteinbezieht, wird die Geschichte mal ironisch-komisch, mal distanziert inszeniert. Der Plot ist interessant, wirkt allerdings auch sehr konstruiert. Wir können uns nur schwer mit dem Protagonisten Kraft identifizieren. Zu unsympathisch sind die Wesenszüge dieses marktliberalen Uniprofessors, der als junger Student in Berlin Ronald Reagan zujubelte.

Das Buch erlaubt verschiedene Lesearten – von der Gesellschaftskritik über die bissige Satire bis zum philosophischen Essay. Die überlangen Sätze kommen jedoch oft gar gestelzt daher und verlangen dem Leser einiges an Konzentration ab. Der Autor hat die Latte hoch gelegt. Dennoch verlocken die Zitate, die jedem Kapitel vorangestellt werden und die immer Bezug auf das Wort «Kraft» nehmen, ihnen weiter nachzugehen.

Jonas Lüscher, 1976 geboren, wuchs in Bern auf und absolvierte dort die Ausbildung zum Primarlehrer. Später studierte er Philosophie und forschte als Doktorand an der ETH Zürich. Seit einigen Jahren lebt Lüscher in München. Die Novelle «Frühling der Barbaren» (2013) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und fürs Theater adaptiert. Der vorliegende Roman «Kraft» wird demnächst in französischer und niederländischer Sprache erscheinen.

Jonas Lüscher: «Kraft». C.H. Beck Verlag, 2017. 237 Seiten; ca. CHF 28.90

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