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  • Literaturserie

Kurt Mettler | Wacher Blick auf das Amerika der späten Zwanzigerjahre

03.04.2020 – Charles Linsmayer

Kurt Mettler starb 1930 mit 25 Jahren und hinterliess ein bemerkenswertes Tagebuch, das erst viele Jahrzehnte später an die Öffentlichkeit gelangte.

«Die Amerikaner sind gerne bereit, jemandem Folge zu leisten. Man könnte sie missbrauchen. Sie sind kritiklos und gutmütig. Man könnte sie am Narrenseil herumführen.» Wüsste man nicht, dass der Satz 1927 von einem 22-jährigen Schweizer in sein Tagebuch notiert wurde, man könnte ihn für die Aussage eines gewieften Kenners des derzeitigen amerikanischen Präsidenten und seiner Anhänger halten.

Junger Mann aus reichem Hause

Der junge Schweizer hiess Kurt Mettler, stammte aus einer wohlhabenden St. Galler Industriellenfamilie, war ein gut ausgebildeter Cellist, besass einen juristischen Doktortitel und machte mit schnellen Autos, als Skifahrer und als Passagier auf den ersten Fluglinien von sich reden. Früh entdeckte er das Tagebuch als die ihm gemässe literarische Form und sah darin «den Rückhalt, wenn nicht das Zentrum seines Lebens». Schon 1927 hatte er ein «Tagebuch eines Einsamen» veröffentlichen wollen. Über sich hinaus wuchs er aber erst, als er im gleichen Jahr mit seinem Bruder zusammen auf Weltreise ging.

Chronist seiner Epoche

Nun verstand er sich als Chronist seiner Epoche und dachte bereits beim Schreiben ans Publizieren. Vor allem in den USA deckte er ein breites Spektrum des gesellschaftlichen Lebens ab, porträtierte spannende Persönlichkeiten, schrieb über Konzerte mit Furtwängler und Toscanini und befasste sich mit der früheren und aktuellen Kunst, dachte er doch daran, in Europa später eine Kunstgalerie zu eröffnen. Bemerkenswert sind vor allem die Notate über das Verhalten der Jugend, der er sich mit Leib und Seele zugehörig fühlte. «Wir sind die neue Generation, an uns liegt es, anders zu denken», verkündete er und erklärte Plato, Spinoza und Schopenhauer zu Dilettanten, bei denen er sich frage: «Wie hätten sie denn etwas Absolutes geschaffen, das zu befolgen wäre?»

Über Japan, Korea und Russland kehrt Mettler 1928 in die Schweiz zurück, holt sich aber unterwegs eine AmöbenInfektion, die er nur schwer wieder losbringt. Sein USATagebuch hat er in eine druckfertige Fassung gebracht, als er im März 1929 nach Paris aufbricht, um da eine Galerie zu eröffnen. Auch in der Seine-Stadt führt er Tagebuch und dokumentiert nicht nur den vergeblichen Versuch, als Galerist zu Erfolg zu kommen, sondern auch eine persönliche Krise, die mit seiner nie öffentlich eingestandenen Homosexualität zusammenhängt. Die Liaison mit einem faszinierenden jungen Mann gehört denn auch zu den bewegendsten Passagen seines Pariser Journals, das unvollendet bleibt, weil Mettler unter Hinterlassung eines beträchtlichen Schuldenbergs am 12. September 1930 mit 25 Jahren überraschend an einer Blutvergiftung stirbt.

Erstveröffentlichung 90 Jahre später

Mettlers Tagebücher hätten den Weg niemals an die Öffentlichkeit gefunden, wenn der mit ihm entfernt verwandte David Streiff, ehemals Direktor des Bundesamts für Kultur, sie nicht ausgegraben und den Historiker André Weibel zu einer brillant kommentierten Edition veranlasst hätte. Zum Erstaunen vieler tauchte so der vergessene junge Mann neunzig Jahre nach seinem Tod mit einem Buch wieder auf, das das damalige Amerika ebenso lebendig spiegelt wie die Pariser Kunstszene und das in vielerlei Hinsicht etwas bemerkenswert Visionäres besitzt. So erkannte er schon damals die Relativität des technischen Fortschritts, insbesondere der Fliegerei, und ein Satz wie «Man kann nicht zugleich glücklich sein und wissen, dass man es ist» verrät eine Tiefe des Denkens, wie sie für einen 25-jährigen jungen Mann unbedingt bewundernswert ist.

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich.

Bibliografie:
Kurt Mettler: «Tagebücher 1927–1930», herausgegeben und kommentiert von André Weibel. Limmat-Verlag, Zürich, 2019, 1040 Seiten, Fr. 59.–

 

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Comments :

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    Roger Zimmermann, United Kingdom 09.04.2020 At 14:09
    I find it quite inappropriate, Monsieur Linsmayer, to use the Swiss Review as a medium to plug your personal political views about the US president.
    As a result of the tone of your introductory remarks, the rest of your article was of no worth.
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    • user
      Arye Ophir, Israel 23.04.2020 At 10:15
      Herr Zimmermann, glauben Sie mir, es gibt so manches an Geschriebenem, das nicht meiner Meinung entspricht, mich nervt. Aber ich sehe darin immer die Gelegenheit, meine Meinung aufs neue kund zu tun, allgemeinverständlich zu formulieren - versuchen Sies doch auch mal!
      Die selbstgefällige Art, einfach nur den Rahmen des Schriftorgans zu Kritisieren, wenn da was geschrieben steht, was nicht der eigenen Meinung entspricht, ist zwar populär, aber keine Bereicherung für den Leser.
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