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  • Gesellschaft

Schülerinnen und Schüler suchen eine «nette Lehrerin»

09.12.2022 – MIREILLE GUGGENBÜHLER

Die Volksschule in der Schweiz hat zunehmend Mühe, gut ausgebildete Lehrkräfte zu finden. So wie etwa die Schule Schötz (LU). Dies, obwohl die staatliche Schule in der Schweiz einen guten Ruf hat. In Schötz sieht man im Lehrpersonenmangel aber mittlerweile eine Chance, die Schule in der Schweiz neu zu denken.

«Meistens sind wir ganz liebe Schüler und geben uns Mühe.»: So beschreibt ein Mädchen aus der 1. Klasse an der Schule Schötz im Kanton Luzern sich und seine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden. Sie macht dies in einem Video, welches der Schulleiter der Primarschule Schötz im Frühling 2021 in den sozialen Medien hochgeladen hatte. Denn: Mit dem Video suchte die öffentliche Schule verzweifelt nach einer Lehrperson, welche die Erstklässler unterrichten würde. Die Kinder wussten übrigens genau, welche Eigenschaften ihre künftige Lehrperson haben müsste: «Sie muss gut Fussball spielen können» und «sie muss nett sein und darf nicht schimpfen». Heute sind die Kinder in der 2. Klasse und haben ihre Traumlehrerin tatsächlich gefunden.

Bewerbung während der Weltreise

Schulleiter Peter Bigler ist froh darüber. Er sitzt im Büro seiner Schule, an welcher 100 Personen unterrichten. «Dank dem Video haben wir jemanden gefunden, der zum damaligen Zeitpunkt auf einer Weltreise war», erzählt Peter Bigler. Mit dem Video hat er zugleich Neuland betreten: Denn in der Schweiz mussten sich die öffentlichen Schulen bis anhin nicht sehr intensiv um neues Personal bemühen.

Die Volksschule hat in der Schweiz einen guten Ruf, 95 Prozent aller Schülerinnen und Schüler besuchen eine öffentliche Schule, 5 Prozent eine Privatschule. Das Vertrauen in staatliche Schulen ist im internationalen Vergleich hoch. Bildung wird in der Schweiz zudem oft als der «wichtigste» oder «einzige» Rohstoff des Landes bezeichnet. In diesem Umfeld war es bis anhin für die Schulen verhältnismässig einfach, zu gut ausgebildeten Lehrkräften zu kommen. Seit rund zwei Jahren ist das nun anders: Auf offene Stellen bewerben sich nur noch wenige oder gar keine Lehrkräfte mehr. Dafür gibt es verschiedene Gründe: So gehen etwa mehr Lehrpersonen in Pension, als neu Ausgebildete auf dem Markt sind. Zudem steigen die Schülerzahlen laut Berechnungen des Bundes seit 2016 – und voraussichtlich noch bis ins Jahr 2031 – kontinuierlich an. Aufgrund des Fachkräftemangels und der gleichzeitig steigenden Schülerzahlen haben die öffentlichen Schulen nun also ein Personalproblem. Ein weiteres Phänomen verschärft die Lage: So arbeiten in der Schweiz – vor allem auf den unteren Schulstufen – mehrheitlich Frauen, und zwar in Teilzeitarbeit. Dies bedeutet, dass eine Schule mehr Lehrerinnen braucht, um das Vollzeitpensum an einer Klasse überhaupt abdecken zu können. Insbesondere in der deutschsprachigen Schweiz ist der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern akut. Etwas weniger dramatisch präsentiert sich die Situation in der Westschweiz und im Tessin.

Personen ohne Lehrbefähigung unterrichten nun

Auch Thomas Minder, Präsident des schweizerischen Schulleiterverbands und damit der oberste Schulleiter der Schweiz, muss bei einer Stellenvakanz an seiner Schule alle Register ziehen, um eine offene Stelle durch eine geeignete Person besetzen zu können. Vermehrt bewerben sich nämlich auf offene Stellen Männer oder Frauen, die keine Lehrerinnen- oder Lehrerausbildung vorweisen können oder die keine Lehrbefähigung für die Stufe haben, für welche sie sich bewerben. In der Not werden solche Personen auch angestellt. «Ich bin selber schon auf jemanden im privaten Umfeld zugegangen, weil ich diese Person für talentiert im Umgang mit Kindern halte und wir einfach niemand anderen gefunden haben», sagt Thomas Minder. Aus der Idee wurde dann allerdings nichts: Etwas später konnte die Stelle doch noch mit Fachkräften besetzt werden. «Ein bis zwei Personen pro Team ohne Lehrerausbildung erträgt es, aber nicht mehr», sagt Thomas Minder. «Und das auch nur, wenn die Qualitätssicherung durch die Schule – also das Kollegium – gegeben ist.»

975 000 Kinder gehen in der Schweiz zur Schule (Kindergarten bis 9. Klasse). Gut 11 600 Schulen machen dies möglich. Der Ruf der Volksschule ist sehr gut: 95 Prozent aller Kinder besuchen eine öffentliche Schule.

Wie viele Lehrpersonen in der Schweiz keine Lehrerinnen- oder Lehrerausbildung haben und trotzdem unterrichten, ist nicht bekannt. Das Bundesamt für Statistik erfasst nur, wie viele Vollzeitstellen sich aus der Summe der Anstellungen von Personen ergeben, die nicht voll qualifiziert sind. Im Kanton Bern zum Beispiel machten die nicht voll qualifizierten Personen im Schuljahr 2020/2021 rund 1038 Vollzeitstellen aus. Im Kanton Zürich waren es rund 782 Stellen.

Zu hohe Abwanderung in andere Berufe

Thomas Minder ist überzeugt: «Kurzfristig lässt sich das Problem des Lehrpersonenmangels nicht lösen.» Er sieht Handlungsbedarf denn auch in Bereichen, bei denen ein Wandel länger dauern dürfte: «Wir haben eine zu hohe Quote von Lehrpersonen, die in andere Berufsfelder abwandern. Diesen müsste es einfacher gemacht werden, wieder in den Lehrberuf zurückzukehren.» Viele Studierende des Lehrberufs merkten zudem erst bei Stellenantritt, dass sie für diesen nicht geeignet seien und stiegen wieder aus. «Vor der Ausbildung müssten Interessierte deshalb unbedingt ein Eignungsverfahren durchlaufen», findet Thomas Minder.

Das Geheimnis der Schule Schötz

Auch auf das nun angelaufene, neue Schuljahr hin musste die Volkschule Schötz übrigens erneut Lehrpersonen finden. Kein leichtes Unterfangen. Doch Schulleiter Peter Bigler konnte alle 20 Stellen besetzen. Hat er wieder ein Video eingesetzt dafür? Peter Bigler lacht: «Wir produzieren tatsächlich weiterhin Videos. Allerdings zeigen wir darin, wie wir arbeiten.» Die Schule hat sich ein scharfes Profil gegeben, um sich von anderen Schulen zu unterscheiden, so wie dies in der Schweiz in der Regel nur Privatschulen tun. «Diese haben uns diesbezüglich etwas voraus», sagt Peter Bigler.

«Wir rücken bei unserem Unterricht vermehrt vier überfachliche Kompetenzen ins Zentrum: Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken. Denn wir sind überzeugt, dass diese Fähigkeiten im 21. Jahrhundert besonders gebraucht werden.» Dafür hat die Schule eigene Unterrichtsgefässe geschaffen, wie etwa die Erfinderwerkstatt. Den Lehrpersonenmangel betrachtet der Schötzer Schulleiter nicht als Krise: «Er bietet viel mehr Chance, eine Schule nicht nur zu verwalten, sondern sie zu gestalten, sich eine Vision zu geben und aus den vorhandenen Strukturen auszubrechen.»

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