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Schnee von gestern

23.01.2019 – Theodora Peter

Im Schweizer Mittelland und in den Voralpen liegt immer seltener Schnee. Mit der Klimaerwärmung findet sich die weisse Pracht nur noch in höheren Lagen. Schnee wird zunehmend zum kostbaren Gut.

Snowfarming heisst das neue Zauberwort in den Wintersportorten. Zu den Pionieren gehört Davos, das schon seit zehn Jahren Schneevorräte vom Vorwinter unter einer dicken Sägemehlschicht übersommert. So kann bereits im Herbst eine vier Kilometer lange Langlaufloipe präpariert werden – unabhängig vom Wetter. Denn das Herstellen von Kunstschnee bedingt tiefe Temperaturen und genügend Zeit.

Dank Snowfarming ist im vergangenen Oktober erstmals eine Skipiste in der noch grünen Herbstlandschaft ausgewalzt worden. Auf der Tschentenalp oberhalb von Adelboden hatten die Pistenfahrzeuge nach Wintersaisonschluss 24 000 Kubikmeter Naturschnee zu einem acht Meter hohen Depot zusammengestossen. Über den Sommer wurde der langgezogene Schneehügel mit Wärmedämmplatten und Vlies abgedeckt. Zwar schmolzen während der Sommerhitze 30 Prozent des Volumens dahin. Trotzdem reichte der verbliebene Schnee ein halbes Jahr später für das Präparieren einer 500 Meter langen, 40 Meter breiten und rund 80 Zentimeter tiefen Piste aus. Hinter dem 250 000 Franken teuren Pilotprojekt steht ein regionaler Verein, der dem lokalen Skirennfahrer-Nachwuchs eine Alternative zu den Trainings auf den übernutzten und weit entfernten Gletscherskigebieten bieten will.

Snowfarming-Projekte gibt es bislang in der Schweiz an rund zehn Destinationen. Von dieser Zahl geht das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) aus. Nebst Davos und Adelboden ist das Übersommern von Schnee vor allem in hoch gelegenen Gletscher-Skigebieten verbreitet, so zum Beispiel in Saas Fee, am Gemsstock, am Piz Corvatsch oder auf der Diavolezza. Eine SLF-Umfrage bei rund 100 Skigebieten im deutschsprachigen Alpenraum und in Skandinavien zeigt jedoch ein wachsendes Interesse: Knapp die Hälfte der Befragten steht der Vorratshaltung von Schnee positiv gegenüber. Zwar ersetzt es die grossflächige Beschneiung nicht, kompensiert aber die kurzen Beschneiungszeiten im Vorwinter – wenn es zu warm ist, um die Schneekanonen laufen zu lassen.

Nullgradgrenze klettert massiv in die Höhe

Mit der Klimaerwärmung steigen die Durchschnittstemperaturen auch im Winter weiter an – gemäss den neusten Klimaszenarien CH2018 (siehe Zusatztext) für die Schweiz um 2,0 bis 3,5 Grad Celsius. Die Wissenschaftler rechnen demnach bis ins Jahr 2060 mit einem Ansteigen der Nullgradgrenze im Winter von heute 850 Metern auf bis zu 1500 Metern über Meer. Ohne Klimaschutzmassnahmen könnte die Nullgradgrenze bis Ende des 21. Jahrhunderts im Winter gar bis auf eine Höhe von 1900 Metern klettern – also bis auf die Höhe der Tschentenalp.

In tieferen Lagen unter 800 Metern sind schneearme Winter inzwischen keine Ausnahme mehr: Seit 1970 hat sich die Zahl der Schneetage auf dieser Meereshöhe halbiert. Der Schneemangel weitet sich jedoch zunehmend auf höhere Lagen aus: Bis Mitte des Jahrhunderts dürfte die Schneebedeckung unterhalb von 1000 Metern um etwa die Hälfte schwinden – bis Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich sogar um über 80 Prozent. Dann fallen auch dort die Niederschläge in Form von Regen, was zu Überschwemmungen führen könnte. Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen. Wird die Klimaerwärmung nicht gebremst, könnten die Starkregen im Winter um 10 Prozent heftiger ausfallen – laut den Prognosen bis Ende Jahrhundert gar um 20 Prozent.

Gletschern fehlt «Nahrung»

Auch die meisten Alpenorte müssen gemäss den Klimaszenarien mit einem Rückgang der Schneefälle rechnen, insbesondere im Frühjahr. Fatal sind die geringen Schneemengen für die Gletscher: Ihnen fehlt zunehmend die «Nahrung». Zudem beschleunigt das Fehlen einer schützenden Schneedecke das Abschmelzen der Eismasse. Seit 1850 büssten die Alpengletscher rund 60 Prozent ihres Volumens ein. Allein in den letzten zehn Jahren ging ein Fünftel der Gletschermasse verloren. Zwar war der vergangene Winter 2017/18 vielerorts der schneereichste seit 20 Jahren. In den warmen und trockenen Monaten April und Mai schmolz die dicke Schneedecke aber rasch wieder dahin. Kommt dazu, dass der Sommer 2018 extrem trocken (siehe «Revue» 6/2018) war. So gab es auf dem Weissfluhjoch auf 2540 Metern seit Messbeginn vor 81 Jahren noch nie so wenig Sommer-Neuschnee wie im vergangenen Jahr.

Kunstschnee braucht viel Wasser

Die Trockenheit hat auch Auswirkungen auf das Wassermanagement in den Skigebieten. Denn die Herstellung von Kunstschnee braucht viel Wasser. So wird zum Beispiel in Davos für die Beschneiung jährlich rund ein Fünftel des gesamten Wasserverbrauchs der Gemeinde versprüht. Und die Schneekanonen laufen just dann, wenn die Pegel von Bächen und Flüssen ohnehin tief sind. In den letzten Jahren bauten die Pistenbetreiber deshalb vermehrt Speicherseen als Wasserreserve. Jedoch verfügen nur zwei von drei Skigebieten, die künstlich beschneien, über einen solchen Speichersee. Ohne lokalen Wasserspeicher wird die Beschneiung bei Trockenheit aber schwieriger: Wird das Wasser aus Fliessgewässern entnommen, darf eine bestimmte Restwassermenge nicht unterschritten werden. Das führt angesichts zunehmender Trockenheit zu Zielkonflikten.

SLF-Masterstudentin Pascale Josi hat 120 Schweizer Skigebiete zu ihrem Umgang mit Wasser befragt. Ihr Fazit: In jedem vierten Skigebiet wird ein «Konfliktpotenzial» zwischen Wassermanagement und technischer Beschneiung erkannt. Gefragt hat die Forscherin die Skigebietsbetreiber auch danach, woher sie das Wasser nehmen, das für die Herstellung von Kunstschnee gebraucht wird: 34 Prozent beziehen das Wasser aus Bächen und Flüssen, 30 Prozent aus der Trinkwasserversorgung, 21 Prozent aus Quellen und 15 Prozent aus natürlichen Seen.

Gerade nach Trockenperioden wie in den letzten Jahren könne das Wasser knapp werden, hält die Forscherin fest – dies vor allem in inneralpinen, niederschlagsarmen Tälern. Landesweit gesehen sei die Herstellung von Kunstschnee aber nicht direkt bedroht: Nach wie vor gelten die Alpen als «Wasserschloss Europas».

Theodora Peter ist freie Journalistin in Bern

Der Blick ins Schweizer Wetter der nahen Zukunft

Die im November publizierten «Klimaszenarien CH2018» zeigen, wie der Klimawandel die Schweiz in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Nach 2007 und 2011 ist dies der dritte Bericht, den die Klimaforscher von MeteoSchweiz, ETH Zürich und Universität Bern Universität im Auftrag des Bundesrates erarbeitet haben. Neu liegen erstmals quantitative Angaben vor, zum Beispiel über die zu erwartende Niederschlagsmenge bei Starkregen. Der Bericht ist online mit einem Webatlas und umfangreichen Datenbanken für jede Region verknüpft.

https://www.nccs.admin.ch/nccs/de/home/klimawandel-und-auswirkungen/schweizer-klimaszenarien.html

Bild: Skifahren im Spätherbst auf der Tschentenalp – auf Schnee von gestern: Die Piste besteht aus Schnee vom Vorwinter, der übersommert wurde.  Foto Keystone

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