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  • Kultur

Eine Erbschaft und viele Fragen

14.08.2014 – Silvia Süess

Ein deutscher Kunsthändler hat dem Kunstmuseum Bern eine grosse Kunstsammlung vererbt. Doch das Geschenk macht nicht nur Freude. Im Zusammenhang mit der Sammlung Gurlitt stellt sich auch die Frage: Wie gehen Schweizer Museen mit geraubten Kulturgütern um?

Das Geschenk kam für das Kunstmuseum Bern völlig überraschend: Der im Mai verstorbene deutsche Kunstsammler Cornelius Gurlitt hat seine gesamte Sammlung Bern vererbt, ohne je mit dem Museum in Kontakt gewesen zu sein. In seiner Sammlung hat es unter anderem Werke von Pablo Picasso, Marc Chagall sowie Max Beckmann. Ob das Berner Museum das Erbe annimmt, ist noch unklar, es hat sechs Monate Zeit, sich zu entscheiden. Das hochkarätige Geschenk birgt einige Probleme: Gurlitts Vater Hildebrand war ein angesehener Kunsthändler im Dritten Reich. Mehrere Hundert der ungefähr 1500 Werke stehen unter Verdacht, Raubkunst zu sein, also Bilder, welche die Nazis jüdischen Privatpersonen geraubt haben. Neben Raubkunst sind in der Gurlitt-Sammlung auch Werke vorhanden, die von den Nazis als sogenannt «entartete Kunst» aus staatlichen Museen entfernt und teils zur Devisenbeschaffung verkauft wurden. Cornelius Gurlitts Sammlung hatten die deutschen Behörden 2011 bei einer Hausdurchsuchung bei dem alten Mann in seiner Münchener Wohnung entdeckt. Ein Jahr zuvor waren deutsche Zollbeamte bei einer Kontrolle auf einem Zug zwischen Zürich und München auf Gurlitt aufmerksam geworden: Der Mann trug 9000 Euro in bar auf sich. 2013 gelangte die Nachricht von dem spektakulären Fund an die Öffentlichkeit; fast gleichzeitig wurde die Taskforce «Schwabinger Kunstfund» gegründet, welche die Herkunft der Kunstwerke klären sollte. Ein halbes Jahr später starb Gurlitt. 

 

Herkunft muss geklärt werden

Warum Gurlitt seine Sammlung ausgerechnet dem Kunstmuseum Bern vermachte, ist unklar. Klar ist hingegen, dass das Kunstmuseum vor einer grossen Herausforderung und vielen ungeklärten Fragen steht. Nimmt es die Sammlung an, wird nicht mehr die Taskforce «Schwabinger Kunstfund» für die Provenienzforschung, also die Abklärung über die Herkunft, zuständig sein, sondern das Berner Museum. Es müsste die Herkunft jedes einzelnen Werks klären. Ist die Herkunft einmal geklärt, beginnen die Probleme erst recht: Wer erhebt und hat Anspruch auf die Objekte? Unter welchen Bedingungen müssen sie zurückgegeben werden? Darf das Museum unter diesen Umständen dieses Erbe überhaupt annehmen? «Es darf», sagt Esther Tisa Francini. Sie arbeitet seit 2008 als Provenienzforscherin am Zürcher Museum Rietberg. Dort wird Kunst aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien gesammelt. Es ist eines der wenigen Schweizer Museen, das eine eigene Stelle geschaffen hat, um die Geschichte der Museumsobjekte zu erforschen. Um Details zur Biografie eines Objekts herauszufinden, recherchiert Tisa Francini in Archiven und Bibliotheken, untersucht das Objekt selbst und pflegt regen Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen in aller Welt.«Die grosse Herausforderung besteht darin, mit solchen Sammelobjekten den richtigen Umgang zu finden. Man muss sich mit allen politischen, moralischen, rechtlichen und historischen Fragen tiefgehend auseinandersetzen», sagt Tisa Francini. Es sei ein Muss, die Bestände systematisch zu prüfen und bei unrechtmässig entzogenem Eigentum faire und gerechte Lösungen zu suchen. Dies ist auch im Washingtoner Abkommen von 1998 festgehalten, in dem sich 44 Staaten – unter ihnen auch die Schweiz – dazu verpflichten, Raubkunst zu identifizieren und aktiv Herkunftsforschung zu betreiben. Im Berner Fall seien sicherlich besondere Transparenz und Kommunikation gewünscht, sagt Tisa Francini: «Alles in allem ist es aber eine Chance für die Schweiz, sich indirekt – nämlich über die Provenienzen der gurlittschen Werke – vertieft mit der Geschichte des internationalen Kunsthandels zu beschäftigen.»Die Provenienzforschung steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Lange Zeit haben sich weder die Museen noch die Öffentlichkeit dafür interessiert, auf welchen Umwegen die Objekte in Museen und andere Institutionen gelangten. Ein erster Meilenstein der öffentlichen Aufarbeitung war der 2001 veröffentlichte Bergier-Bericht «Fluchtgut – Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933–1945 und die Frage der Restitution». Esther Tisa Francini war Mitautorin dieser Studie. «Die Bergier-Kommission hat einiges aufgearbeitet, aber das war keine Provenienzforschung im Sinn einer systematischen Prüfung von Museumsbeständen», sagt sie. «Das war Grundlagenforschung.» 

 

Wer bezahlt die Nachforschungen?

Im Fall Gurlitt gibt es offene Fragen: Wer übernimmt, falls das Museum das Erbe antritt, die Kosten der zwingenden Aufarbeitung der Herkunft der Werke? Das Kunstmuseum Bern verfügt nicht über die nötigen finanziellen Mittel und sowohl die Stadt, wie der Kanton Bern und der Bund haben bereits erklärt, sie würden die Finanzierung der Provenienzforschung nicht übernehmen. Weiter stellt sich die Frage: Darf die Schweiz, die vom Zweiten Weltkrieg verschont geblieben ist und von Geschäften mit NS-Deutschland profitiert hat, von einer Kunstsammlung zweifelhafter Herkunft profitieren? Oder, gehört die Sammlung nicht eigentlich nach Deutschland? Ihre Rolle als Kunsthandelsplatz und Drehscheibe für Kulturgüter zur Zeit des Nationalsozialismus hat die Schweiz ansatzweise aufgearbeitet. Noch kaum auseinandergesetzt hat man sich jedoch mit einem anderen Kapitel von Kulturgüterraub: die Rolle der Schweiz zur Zeit des Kolonialismus. Millionen von Objekten wurden aus den Kolonien nach Europa geholt, viele auch in die Schweiz. Wie bei der Raubkunst aus NS-Deutschland sind auch diese Objekte begleitet von Geschichten über Diebstahl, Gewalt und Unterdrückung zu Lasten eines Staats, einer Gesellschaft oder eines Individuums. Doch diese Geschichten sind kaum bekannt, denn in den ethnologischen Museen in der Schweiz findet eine weitergehende Aufklärung häufig nicht statt. Auch Tisa Francini vom Museum Rietberg sagt, dass ihre Forschung sich bisher vorwiegend auf den Weg der Kunstwerke in Europa konzentrierte und sie sich nur vereinzelt mit den Ursprungsländern beschäftigte. Eine solche Aufarbeitung wäre jedoch Bedingung, um beispielsweise die Frage zu klären: Wer hat Anspruch auf ein Museumsobjekt mit umstrittenem Ursprung? 

 

Streit um bolivianische Statue 

Mit dieser Frage beschäftigt sich momentan auch das Historische Museum Bern. Hier sorgt eine kleine, antike Statue mit religiöser Bedeutung für heisse Köpfe. Der Ekeko kam 1858 in den Besitz von Johann Jakob von Tschudi, als dieser in Bolivien die einheimischen Besitzer nach ausgiebigem Alkoholkonsum zu einem Verkauf der Statue überreden konnte. Nun fordert die bolivianische Regierung den Ekeko zurück – und das Historische Museum muss sich mit seiner Herkunft auseinandersetzen. Ist der Ekeko tatsächlich geraubt? Und wenn ja, an wen soll die Statue zurückgegeben werden, sollte sich das Historische Museum tatsächlich zu Rückgabe entschliessen? Soll jene ethnische Gruppe sie erhalten, von der sie verehrt wurde, oder der Staat als deren Rechtsnachfolgerin? Anna Schmid, Direktorin des Museums der Kulturen in Basel, kennt solche Fragen ebenfalls. Sie fände es höchst erfreulich, wenn sich das Museum Provenienzforschung leisten könnte: «Wir wissen zwar von praktisch allen Objekten, woher sie kommen, und meistens auch, wer sie gebracht hat. Das schreiben wir wenn möglich in den Ausstellungen jeweils an. Was wir jedoch oft nicht kennen, ist der genaue Weg, den die Objekte zurückgelegt haben.»Raubgüter oder Raubkunst im engeren Sinn gebe es allerdings keine im Museum der Kulturen Basel. «Die Schweiz war nie eine Kolonialmacht», sagt Schmid. «Die Schweizer Forscher, deren Sammlungen in unserem Museum zu sehen sind, haben erst nach der Kolonialisierung die eroberten Länder bereist und dort Kulturgüter gesammelt.»

 

Die «Tropenliebe» der Sarasins

Der Wissenschafts- und Kolonialhistoriker Bernhard C. Schär, der an der ETH Zürich am Lehrstuhl für Geschichte der Modernen Welt forscht, widerspricht Schmids Darstellung: «Die Schweiz hat durchaus eine koloniale Vergangenheit, und gerade Forschungsreisende waren aktiv daran beteiligt.» Die Basler Cousins Paul und Fritz Sarasin zum Beispiel, die um 1900 zahlreiche Forschungsreisen im pazifischen Raum unternahmen und zu Gründerfiguren für das Museum der Kulturen Basel wurden, erforschten die indonesische Insel Sulawesi, bevor sie von den Holländern erobert wurde. Ihre Forschung wurde von den Niederlanden unterstützt. Wenige Jahre später profitierte die niederländische Kolonialarmee vom Wissen, das die Sarasins auf ihren Reisen gesammelt hatten, als die Armee die Insel militärisch eroberte.Schär, dessen Dissertation «Tropenliebe» über Paul und Fritz Sarasin nächstes Jahr erscheint, findet deshalb: «Ethnologische und naturhistorische Museen haben einen Kulturauftrag und dazu gehört, dass sie auch die dunklen Seiten der Geschichten aufarbeiten. Ein Grossteil ihrer Sammlungen stammt nun mal aus der Kolonialzeit und die koloniale Gewalt ist ein wesentlicher Teil ihrer Geschichte. Wie im Ausland wächst auch in der Schweiz das wissenschaftliche und gesellschaftliche Interesse, mehr über dieses koloniale Erbe zu erfahren.»

Silvia Süess ist Kulturredaktorin der ­«Wochenzeitung» in Zürich

 

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