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Die Schweiz, der zweite Pandemiewinter und die Omikron-Wette

01.04.2022 – SUSANNE WENGER

Trotz Volks-Ja zum Covid-Gesetz und rekordhohen Fallzahlen hielt sich die Schweizer Landesregierung im Pandemiewinter 2021/2022 mit Massnahmen zurück. Es ging glimpflicher aus als im Vorjahr.

Während das politische System der Machtteilung in der Schweiz die Pandemiebekämpfung oft bis zur Verzweiflung verlangsamte, zeigte sich zu Beginn des Corona-Winters eine Stärke der direkten Demokratie: die Volksrechte als Ventil in der Krise. Bei der Abstimmung Ende November zum Covid-19-Gesetz stellte sich die Stimmbevölkerung hinter die Pandemiepolitik der Behörden. Eine deutliche Mehrheit brachte zum Ausdruck, dass sie auch das Covid-Zertifikat, die umstrittenste der Schutzvorkehrungen, akzeptierte. Die massnahmen- und impfkritischen Gruppierungen, die wiederholt das Referendum ergriffen hatten und glockenläutend durch Städte und Dörfer gezogen waren, verloren nach der neuerlichen Abstimmungsniederlage an Resonanz.

Die gesellschaftlichen Spannungen rund um die Pandemie verschwanden zwar nicht, doch der Urnengang entschärfte sie. Und für den Bundesrat war das Volks-Ja ein Mandat zur Pandemiebekämpfung, wie es kaum eine andere Landesregierung erhalten hatte. Er interpretierte das allerdings nicht als Freipass, sondern blieb auf dem eher zurückhaltenden Kurs, den er seit Beendigung des Shutdowns eingeschlagen hatte. Die Schweiz sei in der Pandemie stets «hart am Wind gesegelt», wie es der Genfer Epidemiologe Marcel Salathé ausdrückte. Eine Strategie, für die das Land während der zweiten Welle im Herbst und Winter 2020/2021 einen hohen Preis bezahlte: Es kam zu einer markanten Übersterblichkeit.

Frühes Ende der Einschränkungen

Ein Jahr später wurde vor Weihnachten die Schraube zunächst nochmals angezogen. So durften nur noch Geimpfte und Genesene ins Restaurant, ins Kino, ins Fitnesscenter. Der Grund dafür war, dass die Belegung der Intensivstationen erneut einen kritischen Wert überschritten hatte. Die Delta-Variante machte überwiegend Ungeimpfte schwer krank. Um die Kräfte auf sie zu konzentrieren, mussten Spitäler Operationen verschieben. Eilends aktualisierte Richtlinien lagen bereit, falls es zusätzlich zu einer harten Triage käme, zu Entscheiden also, wer vorrangig intensivmedizinische Behandlung erhält. Zugleich begann sich die Omikron-Variante auszubreiten, über die man wenig wusste.

Doch trotz der unsicheren Ausgangslage verzichtete der Bundesrat auf noch strengere Massnahmen, die er bereits mit den Kantonen vorbesprochen hatte, darunter Restaurantschliessungen. Er blieb auch dabei, als sich im Januar die Omikron-Welle so steil auftürmte, wie die wissenschaftliche Taskforce des Bundes es zuvor errechnet hatte. Und sobald der Höhepunkt überschritten war, fielen Mitte Februar – bei immer noch hoher Virusaktivität – sämtliche Covid-Massnahmen, bis auf eine Rest-Maskenpflicht. Entgegen den Befürchtungen war es nicht zu einer Überlastung der Spitäler gekommen, dank inzwischen erhöhter Immunität in der Bevölkerung durch Impfung und Infektion: Allein in den Omikron-Rekordwochen steckten sich 30 bis 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung an.

Anders als einige Nachbarländer ging die Schweiz also ohne Schliessungen und Impfpflicht durch den zweiten Corona-Winter, trotz eher tiefer Impfquote. Man sei mit den Freiheiten «eine Wette eingegangen» und habe diese «gewonnen», sagte Bundespräsident Ignazio Cassis. Kritiker bezweifeln allerdings, dass die Wetten gedeckt sind. So könnten die vielen Infektionen für jede fünfte Person Langzeitfolgen haben, wie Fachleute warnen. Schon bekommen es auch die Sozialwerke zu spüren. Wegen Long Covid meldeten sich allein im letzten Jahr 1700 Personen neu bei der Invalidenversicherung an.

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