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Die Rückkehr des Schlittelns – beliebter Sport im Aufwind

11.12.2014 – Stéphane Herzog

Billiger als Skifahren, lustig und kinderleicht – Schlitteln hat sich zu einem erfolgreichen Angebot der Schweizer Wintersportorte entwickelt.

In der berühmten Schlusssequenz von Roman Polanskis Filmklassiker Tanz der Vampire fliehen die beiden Helden mit einem Pferdeschlitten aus dem Schloss der Untoten – nicht ahnend, dass sie bei ihrer wilden Flucht durch die verschneite Landschaft von einem Vampir begleitet werden ... Wer erinnert sich nicht mit wohligem Gruseln an diese Szene – ich jedenfalls immer, wenn ich Gelegenheit zum Schlitteln in den Alpen habe! 

«Schlitteln ist toll», bestätigt auch Edith Zweifel, Kommunikationsverantwortliche bei Zermatt Tourismus. Der Wintersportort empfiehlt vor allem die Strecke am Gornergrat, wo eine zehnminütige Abfahrt mit einem beeindruckenden Blick aufs Matterhorn lockt. «Bei Sonnenuntergang, wenn es dunkel und kalt wird, ist es besonders schön», findet die Walliserin. Der Schlitten wurde ja für den Holztransport entwickelt. «Doch noch heute erinnert uns dieses einfache und traditionelle Transportmittel an unsere Kindheit. Ob mit der Familie oder Freunden – eine Schlittenfahrt bietet immer jede Menge Spass. Aber man kann sich auch einfach nur daraufsetzen und die Aussicht geniessen oder picknicken.»

Im benachbarten Saastal erzählt Chantal Imseng, Marketingverantwortliche von Saas-Fee, von ihren Abfahrten auf der Piste von Kreuzboden nach Saas-Grund. Elf Kilometer lang ist hier die Strecke. «Ich wohne gleich neben der Schlittelbahn. Oft ziehe ich mit meinem Hund los, der vorausrennt. Wenn wir als Gruppe gehen, warten wir immer nach einer grossen Kurve aufeinander. Beim Bremsen mit den Füssen stiebt der Schnee hoch und es kippt immer mal wieder einer von seinem Gefährt. Diese lustige, entspannte Seite des Schlittelns gefällt den Leuten so», erklärt der Schlittelfan. 

Die schwache Auslastung ihrer Seilbahnen und Skilifte zwingt die Wintersportorte dazu, ihr Angebot zu diversifizieren. «Die Menschen mögen den Winter, aber nicht jeder fährt Ski», so Chantal Imseng. Schlittelbahnen sind deshalb eine gute Möglichkeit, mehr Leute in die Berge zu locken. Dazu kommt, dass Schlitteln deutlich billiger ist als Skifahren, fallen doch neben den Kosten für das Zugbillett und den Schlepplift nur noch 6 bis 15 Franken Tagesmiete für den Schlitten an. Einige Pisten kann man auch zu Fuss hochlaufen, sodass hier gratis gefahren werden kann. Die Seilbahn auf den Kreuzboden beispielsweise kostet 12 Franken (mit Halbtax-Abo) und die Schlittenmiete noch einmal die Hälfte. Ausserdem ist eine Fahrt auf einem Davoser-Schlitten für jeden etwas. 

In Zermatt wird meist von skandinavischen und anderen europäischen Touristen geschlittelt (der Weihnachtsmann ist kein Chinese), doch laut Edith Zweifel entdecken nun etwa auch die Inder dieses Vergnügen für sich. Wie Luc Pignat, Tourismusdirektor in La Tzoumaz, Skigebiet Verbier, erklärt, zieht dieser unkomplizierte Spass inzwischen immer häufiger «Tagesgäste» an. Die Nachfrage habe deutlich angezogen, meint auch Martin Hannart, Leiter von Sierre-Anniviers Marketing. «In Chandolin beispielsweise stehen heute rund 60 Schlitten zur Verfügung, während es vor zehn Jahren nur zehn Stück waren.» Mittlerweile ist der Sport so beliebt, dass sich die Schlittler je nach ihren Ambitionen über den ganzen Tag verteilen. «Oft gehen die Touristen nach einem halben Tag Ski fahren noch schlitteln. Die Profis hingegen sind morgens auf der Piste, um vom harten Schnee zu profitieren. Und die Familien sind vor allem am Nachmittag anzutreffen», so Martin Hannart. Selbst die Freerider haben sich mit dem Schlitteln angefreundet. «Schlechte Bedingungen für Abfahrten im Pulverschnee sind oft gute Bedingungen fürs Schlitteln und umgekehrt», wie Martin Hannart erklärt. «In Zermatt hat die einzige Schlittelstrecke am Gornergrat in der vergangenen Saison immerhin 3000 Tickets für die Gornergratbahn generiert», sagt Edith Zweifel. Von nächtlichen Abfahrten (nach einem Fondue) bis hin zum Familienspass oder Sport – das Schlitteln ist noch lange nicht Schnee von gestern. Fröhliche Weihnachten! 

Schlitten, Rodel, Skeleton 

Ob man nun auf einem verschneiten Weg oder einer präparierten Piste, alleine oder zu zweit, bäuchlings oder rücklings und auf einem Schlitten mit starrer oder verziehbarer Konstruktion fährt – Schlittelfreunden stehen zahllose Möglichkeiten offen. 

Im Unterschied zum Französischen wird im Deutschen zwischen «Schlitten» und «Rodel» unterschieden: Ersterer (der typische Davoser-Schlitten) ist eine simple Holzkonstruktion für rund 200 Franken, die zu unseren Kindheitserinnerungen gehört. Man setzt oder legt sich darauf – und hofft auf das Beste! Denn jeder, der schon einmal auf diesem zeitlosen Modell Platz genommen hat, wird bestätigen, dass ein Davoser ungeachtet der Streckentopografie immer nach rechts zieht. 

Ein Rodel hingegen erfordert mehr Fingerspitzengefühl, kann aber präziser gesteuert werden. Seine Böcke sind beweglich mit den Kufen verbunden, sodass er sich durch Druck auf die jeweilige Kufe lenken lässt. Zudem verfügt er über ein Lenkseil, an dem man sich festhalten und die Lenkgeometrie so verändern kann, dass der Schlitten in die gewünschte Richtung fährt. Zum Bremsen presst man einfach beide Füsse flach auf den Schnee. «Man bremst nicht mit den Hacken», erklärt Albert Steffen, Rodellehrer in Grindelwald (BE). Ein solcher Spitzenrodel könne Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h erreichen und gegen 1000 Franken kosten, so Martin Hannart, Leiter von Sierre-Anniviers Marketing. «Rodeln ist eher in der Deutschschweiz verbreitet, wohin 75 % der Jahreslizenzen vergeben werden», erzählt er. «Aber auch Romands und ausländische Touristen rodeln als Freizeitvergnügen.» 

Schlitten und Rodel werden übrigens immer schneller. «Selbst mit einem Davoser ist man inzwischen flotter unterwegs, da heute die gesamte Holzkufe mit Eisen beschlagen wird», erläutert der Fachmann. 

stéphane herzog ist Redaktor der ­«Schweizer Revue»

Jedes Jahr mit etwas Angst in die erste Abfahrt

Der 24-jährige Freiburger Ronald Auderset ist der beste Schweizer Skeletonfahrer.

«Schweizer Revue»: Was ist der Unterschied zwischen Rodeln und Skeleton? 

Ronald Auderset: Beim Skeleton liegt man kopfvoran auf dem Sportgerät und es besteht nur ein Abstand von zwei bis drei Zentimetern zwischen Kopf und Eiskanal. Ein Rodel ist auch etwas schneller als ein Skeleton. Grundsätzlich fährt man mit beiden Geräten denselben Eiskanal hinunter, wobei der Start mit dem Rodel von einer Startrampe aus erfolgt. Skeletonfahrer nehmen hingegen rund 30 Meter Anlauf und springen dann auf ihr Sportgerät. Der Startpunkt liegt 10 Meter tiefer als beim Rodeln.

Was fühlen Sie während der Fahrt? 

Es ist ein wahrer Gefühlsrausch  – und vor allem ein enormes Glücksgefühl! 

Denken Sie auch an die Gefahren? 

Bei meiner ersten Abfahrt wäre ich am liebsten mit den Füssen voran gefahren, um meinen Kopf zu schützen. Aber eigentlich ist der Skeletonsport weniger gefährlich als das Rodeln, da man nicht im rechten Winkel in die Seitenmauer prallen kann, wenn man aus der Spur gerät. Ich habe nun rund 450 Abfahrten hinter mir und habe mich nur zweimal verletzt: einmal das Schlüsselbein gebrochen und einmal den Kopf aufgeschlagen. 

Was muss ein guter Skeletonfahrer ­mitbringen? 

Es ist einfacher, das Steuern des Geräts zu erlernen, als es richtig anzuschieben. Das erklärt, weshalb viele Sprinter zu diesem Sport wechseln. Man muss also viel an seinem Start arbeiten. Liegt man erst einmal auf dem Gerät, muss man schnell seine Ruhe wiederfinden, um präzise steuern zu können. Der mentale Aspekt ist entscheidend, denn je nervöser ein ­Athlet ist, desto mehr unnötige Bewegungen macht er, die ihn Zeit kosten. 

Ist Skeleton eine Schweizer Erfindung? 

Englische Touristen haben in Graubünden erstmals gewagt, einen Eiskanal kopfvoran hinunterzufahren. Der Sport ist also Teil unserer Geschichte. 

Wie schlagen sich die Schweizer bei Wettkämpfen? 

Skeleton ist eine Randsportart, doch die Schweiz hat grossartige Athleten hervorgebracht – allen voran Gregor Stähli. Auch die Rodler Gregory Carigiet (Anm. d. R.: hat im April 2014 seinen Rücktritt erklärt, da ihm die nötigen Sponsorengelder fehlen, um weiter auch höchstem Niveau mitzuhalten) und Maya Pedersen-Bieri, die 2006 in Turin die Goldmedaille gewonnen hat, haben viel erreicht. Leider gibt es kaum Sponsoren. 

Welches Ziel wollen Sie in Ihrem Sport erreichen? 

Ich möchte an den Olympischen Winterspielen 2018 in Südkorea teilnehmen. Um am Weltcup teilnehmen zu können, muss ich hier die Nummer 1 bleiben. Im Skeleton wird nämlich nur ein Startplatz für die Olympischen Spiele vergeben. 

INTERVIEW: STÉPHANE HERZOG 

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