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  • Tourismus

Der Mont Blanc – in gewisser Hinsicht doch auch ein Schweizer Berg

15.11.2016 – Stéphane Herzog

In der Westschweiz kennt sie jeder: die Silhouette des Mont Blanc. Hier erfand der Schweizer de Saussure den Alpinismus. Und auch die Goûter-Hütte ist das Werk zweier Schweizer.

Wer als Tourist in Genf die Rue du Mont-Blanc in Richtung See nimmt, kann – bei gutem Wetter – in der Ferne das makellose, runde Profil eines Berges sehen, der alle anderen überragt: der Mont Blanc. Weiter Richtung Lausanne sieht man von den sanften Hügeln am Ufer des Genfersees die markante Kontur, die es im 18. Jahrhundert dem Genfer Wissenschaftler Horace-Bénédict de Saussure angetan hatte. «Von Bussigny aus, wo meine Frau lebt, hat man eine grossartige Sicht auf den Berg», schwärmt der Walliser Bergführer Jérôme Terrettaz, der gut 15 Mal auf dem Gipfel und «jedes Mal aufs Neue begeistert und bewegt» war, wie er erzählt, und dies trotz des hohen Andrangs vor Ort: Jahr um Jahr versuchen rund 20 000 Berggänger, den 4808 m hohen Alpengipfel zu erklimmen, wobei es nur gut der Hälfte davon gelingt.

«Einmal angekommen, liegen dir alle Gipfel zu Füssen, die du schon bestiegen hast, die ganze Vergangenheit ist da. Prompt machst du Pläne für die Zukunft», gesteht der 43-Jährige, der am Hang mit seinen Kunden schon so einiges an Abenteuern erlebt hat. Einen gut trainierten Bergsteiger aus der Waadt verliessen 200 Meter vor dem Gipfel die letzten Kräfte. Ein anderer, im Bergsteigen weniger geübt, erreichte den Gipfel frisch und froh, obwohl es sein erster Viertausender war. Mal ist die Anspannung entscheidend, mal die Höhenkrankheit, mal die Kälte, mal die Kraft. «Der Wind, die Temperatur – alles ist anders da oben als auf den umliegenden Bergen. Es ist wie eine andere Schicht der Atmosphäre», bringt es der Waadtländer Bergführer Yoann Burkhalter auf den Punkt. Jedes Jahr lassen laut der Französischen Ski- und Alpinismusschule auf dem Normalweg über den Dôme du Goûter zwei bis fünf Personen ihr Leben.

Eine Aura wie das Matterhorn

In der Genferseeregion geniesst der Mont Blanc aufgrund seiner Bekanntheit und seiner herausragenden Position eine Anziehungskraft und Faszination, wie sonst nur das Matterhorn. «Vom Ufer aus sieht man, wie hoch er ist, als wäre er aus einer anderen Welt», kommentiert Yoann Burkhalter. Das Bergführerbüro «Passe Montagne», dem er angehört, hat die Besteigung des Mont Blanc fest im Programm. «Wir inszenieren den Mont Blanc, wie man es mit dem Matterhorn täte. Er ist ein Meilenstein in der Karriere eines Alpinisten», so der junge Bergführer. Oft wird die Besteigung in der Schweiz vorbereitet. «Ein klassischer Weg, um sich zu akklimatisieren, ist der Aufstieg bis zum Refuge Albert 1er auf der französischen Seite. Von da aus unternimmt man eine Tour in der Gegend, wie die Aiguille du Tour, und übernachtet in der Schweizer Cabane du Trient», erläutert Jérôme Terrettaz. Doch die Schweizer wissen durchaus, dass der Mont Blanc nicht zu ihren Viertausendern gehört.

Anders die Italiener, die der Auffassung sind, dass die italienisch-französische Grenze genau über den Gipfel verläuft. Während die Franzosen der Meinung sind, dass er ihnen ganz gehört. «Die Schweizer Karten sehen das ebenso, die italienischen dagegen nicht», so Burkhalter. Doch auf welcher Seite der Karte er auch steht, in unserer Vorstellung zumindest ist der Mont Blanc ein Schweizer Berg.

Bei den Bergausstattern der Westschweiz gehört er damit fest ins Repertoire. «Im Sommer stattet sich bei uns alle zwei, drei Tage jemand für den Aufstieg aus», erzählt Nicolas Fouchereau, Leiter von Passe Montagne in Genf. 40 bis 50 Mal pro Jahr verleiht der Bergausstatter das Material für den Mont Blanc, einschliesslich Eispickel, Helm, Steigeisen und Schuhen. So mancher deckt sich gleich von Kopf bis Fuss ein, auch Anfänger sind dabei.

Genau hierin liegt das Paradox dieses Berges: Die Tramway du Mont Blanc macht den Zugang leicht. Der Weg ist von der Schweiz aus nicht weit. Entsprechend gross ist der Andrang. Doch auch wenn der Aufstieg technisch nicht als schwierig gilt, leicht durchzuführen ist er deshalb nicht. «Bei denen, die es nicht schaffen, scheitert ein Drittel, weil sie es physisch nicht schaffen, ein weiteres Drittel ist nicht ausreichend trainiert oder akklimatisiert und das letzte Drittel macht aufgrund der Wetterlage kehrt», erklärt der französische Bergführer Daniel Traber, der 20 Jahre lang in der Bergrettung gearbeitet hat. «Es ist doch verrückt zu glauben, dass man den Mont Blanc dank der Zahnradbahn an einem Tag besteigen kann (ausgehend von der Aiguille du Midi – Anm. d. Redaktion). Allein schon der Zustieg zur Cabane de la Dent Blanche dauert sechs Stunden», verdeutlicht Terrettaz die Relationen. Wenn er französische Bergführer auf diesem Schweizer Gipfel trifft, finden sie es dort «angenehm und ruhig». Burkhalter vergleicht den Anstieg über den Goûter-Grat mit dem «Gotthard- Tunnel des Alpinismus», ohne dabei die Schönheit und den mythischen Charakter dieses Wegs zu leugnen. Und auch die Bedeutung für die Geschichte dieses Sports gesteht er ihm zu. «Gaston Rebuffat (ein bekannter französischer Alpinist – Anm. d. Redaktion) war es, der sagte, de Saussure habe den Alpinismus erfunden, als er den Mont Blanc von Genf aus betrachtet habe. Der Berg hat den Wissenschaftler gerufen. Und er hat eine Neugier geweckt, die eine Vielzahl weiterer Entdeckungen ermöglicht hat.»

Eine Schweizer Hütte auf dem Normalweg über den Goûter-Grat

Die neue Hütte auf 3835 Metern Höhe im Eis der Aiguille du Goûter ist das Werk der Schweizer Architekten Hervé Dessimoz und Thomas Büchi. Sie wurde 2013 in einem angespannten Klima zwischen der Gemeinde Saint-Gervais und dem Französischen Alpenverein (CAF) eröffnet und galt als technologisches und ökologisches Meisterwerk. Doch ihr Konzept kann nicht alle überzeugen. So führt die Abwasserentsorgung beispielsweise zu einem deutlichen Geruchsproblem, das schon von weitem wahrnehmbar ist. «Das ist nicht gut gemacht», meint der Schweizer Bergführer Burkhalter. «Der hohe Andrang und die Zahl der Gäste, die ohne Reservierung kommen, überlasten das System», bestätigt Daniel Traber aus Frankreich. «Man muss sich vergegenwärtigen, dass hier sogar Gäste sind, die nicht wissen, dass sie die Steigeisen abnehmen müssen, wenn sie in die Schlafsäle raufgehen», erinnert der Walliser Terrettaz. Doch vielleicht ist Kritik an der Goûter-Hütte – eine andere lautet, der Vorraum sei zu eng – schlicht unvermeidlich. Burkhalter räumt ein, dass «die Problematik aufgrund des hohen Andrangs auf die Alpen bezogen einzigartig ist, sowohl was die Goûter-Route selber als auch die Hütte anbetrifft». Abgesehen davon bleibt die Goûter-Hütte mit ihrem schönen Tragwerk, ihren durchdachten und angenehmen Schlafsälen und ihrer Energieautonomie ein echtes architektonisches Meisterwerk.

Wie also bereitet man eine Mont-Blanc-Besteigung vor? Indem man etappenweise grosse Höhenunterschiede, um die 1500 Meter, zurücklegt und in der Höhe übernachtet. Trainiert wird oft an leichten Schweizer Gipfeln wie Weissmies, Bishorn oder Breithorn. Und der Mont Blanc? Bewährt hat sich eine Tour über drei Tage. 1. Tag: Aufstieg zur Cabane de Tête-Rousse (3167 Meter) ab der Endstation der Tramway du Mont Blanc (+800 Höhenmeter). 2. Tag: Aufstieg auf den Gipfel (insgesamt +1700 Höhenmeter) und Übernachtung in der Goûter-Hütte. 3. Tag: Abstieg ins Tal. Der Vorteil dabei ist: In der ersten Nacht schläft man in nicht zu grosser Höhe und man bewältigt die Querung des Couloir du Goûter, des sogenannten «Todes-Couloirs» in aller Frühe, damit die Gefahr des Steinschlags so gering wie möglich ist.

Für den Kauf einer vollständigen Ausrüstung muss man mit 2000 Franken rechnen. Der Aufstieg auf den Gipfel bei einwöchiger Vorbereitung mit einem Schweizer Bergführer kostet insgesamt 3600 Franken, so Yoann Burkhalter.

Bild  Die Goûter-Hütte  der Architekten  Hervé Dessimoz und Thomas Büchi in 3835 m Höhe. 

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