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  • Literaturserie

Hamo Morgenthaler | Der asiatische Dschungel als Paradies und Hölle

21.03.2018 – Charles Linsmayer

Der «arme Dichter» Hamo Morgenthaler erlebte seine schönste Zeit im Urwald Südostasiens und kam im Guten wie im Bösen nie wieder davon los.

Als eine «harmlose Sphäre mittelschweizerischer Kartoffeläcker» bezeichnete Hans «Hamo» Morgenthaler die Gegend von Burgdorf, wo er am 4. Juni 1890 zur Welt gekommen war. Früh mutterlos und unglücklich, studierte er Botanik, Zoologie und Geologie, war aber von Anfang an getrieben vom unbändigen Willen, «schön und gefährlich» zu leben. Wie der literarische Erstling «Ihr Berge» von 1916 dokumentiert, gab er dem Drang zunächst als Bergsteiger nach, trieb es aber so wild, dass ihm 1911 auf dem Tödi fast alle Finger abfroren.

1920 dann sollte er aus Protest gegen den Massentourismus seine Bergsteigerausrüstung in eine Gletscherspalte werfen. Vorher aber gab er einer anderen Sehnsucht nach: der nach dem Abenteuer im asiatischen Dschungel. «Tage im Paradies» in einer neu gefundenen «Urheimat» wurden es für ihn, als er von 1917 bis 1920 für eine Firma im malayischen Urwald nach Zinn und Gold suchte und da «das Nachtlied des Urwalds» und «all die braunen Frauenwunder» erlebte. Mit fatalen Folgen allerdings: Bis zuletzt sollte er unter einer nie ärztlich nachgewiesenen Syphilis leiden, und die Malaria, die er in die Schweiz mitbrachte, ging nahtlos in die Tuberkulose über, an der er 1928 mit 38 Jahren starb.

Sinnlich verführerisch

Zweimal hatte er zuvor sein asiatisches Sehnsuchtsland romanhaft evoziert: euphorisch und sinnlich-verführerisch 1920 in «Matahari. Stimmungsbilder aus den malayisch-siamesischen Tropen», einem Buch, das Hermann Hesse und Emmy Hennings begeisterte, skeptisch-kritisch und so, dass einem der Dschungel als Hölle erscheint, in «Gadscha Puti. Ein Minenabenteuer», das Orell Füssli zum Leidwesen des an chronischem Geldmangel leidenden Autors zurückwies und das erst 1929, nach seinem Tod, im Francke Verlag herauskam. Posthum erschien auch «In der Stadt. Die Beichte des Karl von Allmen», ein dunkel-unheimliches Buch über die Stadt als ungehemmte Hure der menschlichen Triebe und Abgründe, welcher der einsame Nachtschwärmer von Allmen in einer Art «Stadtwahnsinn» verfallen ist.

Seit der Heimkehr aus Asien fand Morgenthaler keine Bleibe und keine Ruhe mehr. Als Tuberkulosepatient lebte er in Arosa und Davos, dann wieder in Ascona, wo wie durch ein Wunder der heitere Roman «Woly, Sommer im Süden» entstand, in der Berner Heilanstalt Waldau (aus Eifersucht war er fast zum Mörder geworden), in einer psychiatrischen Klinik in Mendriso und 1927 schliesslich in Bern, wo sich die Zahnärztin Marguerite Schmid seiner annahm und sein Leben in halbwegs ruhige Bahnen zu lenken vermochte. Vom Expressionismus der Asien-Romane und dem Humor von «Woly» fand er zuletzt zur tragischabsurden Lapidarität seiner Gedichte, deren letztes und erschütterndstes lautet: «Lieber Gott, /schlag mich tot. / Nimm von mir dies wüste Leben. / Dann werd ich Dir ein Müntschi geben.»

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler und Journalist in Zürich.

«Mir scheint jetzt, ich wusste schon, als ich den im Herbst-schnee prangenden Bergen mein Lebetwohl zurief, dass meine Abreise nicht ein Scheiden und Untreuwerden bedeutete, dass ich nicht fortging, sondern heimkehrte, in die Urheimat zurück, in eine mir zwar vollständig neue Welt, aber doch eine Welt alten Erlebens und unverdorbener Ursprünglichkeit.»

Aus «Matahari. Stimmungsbilder aus dem malayisch-siamesischen Dschungel», Zürich, 1920, vergriffen.

Bibliografie: Greifbar sind: «Dichtermisere. Ein Hans-Morgenthaler-Brevier», herausgegeben von Georges Ammann bei Orte, und «Hamo, der letzte fromme Europäer» und «Der kuriose Dichter Hans Morgenthaler». Briefwechsel mit Ernst Morgenthaler und Hermann Hesse, beides herausgegeben von Roger Perret, im Lenos-Verlag.
 

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